Gero Fischer
Das Windische
(…) Jahre war es ziemlich still um das Windische, Kontroversen schienen wissenschaftlich wie politisch erledigt. In jüngster Zeit haben es Jörg Haider und sein Gefolge wieder entdeckt und versuchen nun damit politisch Staat zu machen. Was ist los mit dem Windischen?
Wir beginnen eine Annäherung auf verschiedenen Ebenen:

DER HISTORISCHE UND LINGUISTISCHE BEFUND
(vgL Fischer: 1980:39ff.)
Die Bezeichnung »Windische« für die Kärntner Slowenen hat ebenso wie die Bezeichnung »Wenden« für die Lausitzer Sorben eine gemeinsame Wurzel: Im Mittelalter wurden die östlichen und südlichen Nachbarn der Deutschen »Winedi«, »Windi«, »Wenidi« genannt. Diese Bezeichnungen gehen auf die »Veneti« zurück, die im Baltikum siedelten, aber keine Slawen waren. Als sich dort auch Slawen ansiedelten, wurde dieser (ursprünglich nichtslawische Volker bezeichnende) Völkername auf Slawen allgemein ausgeweitet. Im Laufe der Zeit wurde dieser Name auf die Slowenen, Lausitzer Sorben, die Slowinzen und die Slawen in Pommern eingeengt. Erst an der Wende vom 18. zum 19 Jahrhundert wird die Tendenz spürbar, die Bezeichnung »Windisch« (aber auch »Wende«) aus dem deutschen Sprachgebrauch zu verdrängen, da er allmählich eine pejorative Bedeutung angenommen hatte. Dies hat allerdings seine gesellschaftlichen und historischen Wurzeln: Seit dem Feudalismus konnotierte »windisch« stets auch als »untergeordnet«, »kleinbäuerlich«, »ländlich«, »rückständig«. Von den realen gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnissen leitete sich auch das Werturteil ab, daß Deutsch »vornehm« (vgl. Kranzmayer 1960:22 ff.) das Slowenische/Windische »Bauernsprache«, »schiach« sei.

Nach 1918, insbesondere aber nach der Volksabstimmung von 1920, war »Windisch« entsprechend der Entwicklung der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse in den deutschsprachigen Publikationen und im politischen Sprachgebrauch weitgehend synonym für »deutschfreundlicher Slowene«, sodann für »heimattreuer Slowene«, während die Bezeichnung »SloweneTslowenisch« (und die Verstärkung »NationalsloweneTnationalslowenisch«) speziell nach 1920 weitgehend als Synonym für »jugoslawien-freundlich«, nach 1945 »partisanenfreundlich« und etwa seit 1950 für »titokommunistisch« gebraucht wurde.

Die politische Basis der Windischentheorie ist die Rechtfertigungsideologie für die expansive Besitzstandspolitik der deutschsprachigen Oberschicht, die bestrebt war, einerseits die Entstehung eines slowenischen Kleinbürgertums zu verhindern und andererseits die slowenischen Kleinbauern in wirtschaftlicher und politischer Abhängigkeit zu halten. Charakteristisch für diese Theorie ist der ihr zugrundeliegende völkische Sozialdarwinismus: Danach ist der Anstieg des deutschen Elements in Kärnten auf Kosten des slowenischen »natürlich«, »naturgegebene Überlegenheit« des Deutschen (der deutschen Sprache, Kultur, etc). Alles was der Germanisierung widersprach/widerspricht wurde/wird daher in Konsequenz als »Slowenisierung« bezeichnet und bekämpft (Wutte, in vielen Nummern des Organs des KHD »Ruf der Heimat«).

Eine besonders abenteuerliche Variante der Windischentheorie ist jener extreme Standpunkt, der davon ausgeht, daß die Windischen entwicklungsgeschichtlich nichts mit den Slowenen gemeinsam haben sollen, sondern daß sie von den »Wenden« abstammen, von denen sie sich vor etwa 1000 Jahren getrennt haben sollen. Die Windischen seien daher durch eine lOOQjährige Verbundenheit an die Deutschen dem deutschen Kulturkreis zugehörig und hätten mit den Slowenen nur einige Wörter gemeinsam (vgl. Ude/Zorn/Pleterski 1976). Dieser extreme Standpunkt wird heute kaum noch ernsthaft vertreten, wohl aber jene Abart, die Wutte (1930) in der Zwischenkriegszeit ausgearbeitet hat. Nach dieser Version, die ebensowenig wissenschaftlich haltbar ist, unterscheide sich das Kärntner Slowenische vom »Krainischen Neuslowenischen« dermaßen, daß man ersteres nicht mehr dem Slowenischen zuordnen könne, sondern dieses den Status einer Mischsprache einnehme. In weiterer Folge wird daraus auch die Existenz eines »windischen Volkes« konstruiert, das sich aus der Verschmelzung bzw. aus der »Bluts-, Kultur und Schicksalsgemeinschaft mit den Deutschen konstituiert hätte. Hier verfängt sich aber Wutte selbst in einer widersprüchlichen Argumentation, so Haas-Stuhlpfarrer (1977:51): »Nicht erklären konnte daher die Windischen-Theorie die Existenz der sogenannten 'Nationalslowenen'. Denn wenn sich die Kärntner Slowenen als Windische zu einer eigenständigen nationalen Einheit entwickelt hatten, die aus der tendenziellen Verschmelzung mit den Deutschen entstanden war, wie war es dann zu erklären, daß in Kärnten dennoch nationalbewußte Slowenen existierten (und das ist heute noch die Mehrheit, G.F), die sich diesem Prozeß entzogen hatten? Der Widerspruch zeigte sich schließlich noch auf einem anderen Ebene: Wutte geht davon aus, daß die Windischen ein 'natürliches' Ergebnis verschiedener Umstände seien; warum war es aber dann notwendig, daß sich deren Existenz im politischen Bekenntnis des Einzelnen realisierte? Denn entweder waren die Kärntner Slowenen in Wirklichkeit Windische, dann bedurfte es keiner politischen Bestätigung oder sie waren in Wirklichkeit Slowenen geblieben, die nur aus politischen Gründen Windische genannt wurden, dann fiel die Windischentheorie in sich zusammen. Daraus läßt sich aber die wirkliche Funktion des 'Windischen' ableiten, nämlich die einer von den Deutschen gegängelten Scheinfigur, die Personifikation slowenischer, das heißt nunmehr windischer Unterordnung unter die deutsche Herrschaft.«

Die Identifizierung von Windisch und Slowenisch war vor 1920 kein wirkliches Problem. Nach 1920 wurde aber differenziert und zwar nach politischen Kriterien, die linguistisch und völkisch-wissenschaftlich legitimiert werden sollten. Das Windische wurde zum Instrument der deutschnationalen Trennungspolitik gemacht. Diese Legitimierungsarbeit besorgten Landeshistoriker (d.h. sie standen im Dienste des Landes Kämten) wie M.Wutte, der prompt auch dafür seine Ehren einstrich. (1942 erhielt er einen vom Gauleiter Rainer gestifteten wissenschaftlichen Preis für seine Arbeit für die NS-Partei und ihr Programm bei der Slowenenverfolgung.) Seine Arbeiten wurden und werden im hochoffiziellen Kämten – obwohl sie mehrfach wissenschaftlich widerlegt worden sind – in Ehren gehalten und
gegenüber allen Anfechtungen verteidigt.

DER POLITISCHE BEFUND FÜR
DIE HEUTIGEN WIEDERBELEBUNGSVERSUCHE

Die zentralen Fragen lauten: Warum diese Wiederbelebung? Wer braucht heute das »Windische«?

Wenn dem deutschen Volkstum unverbrüchlich verpflichtete »Nationale«, »Heimattreue«, »Nationalliberale« etc. plötzlich Volkstum und Identität anderer entdecken und sich sogar zu deren Beschützern aufwerfen, dann muß man stutzig werden. Haben sie etwa eingesehen, daß minderheitenfeindliche Politik und europäische Integration nicht zusammenpassen? Geht es in der Tat um politischen Gesinnungswandel? Eine genauere Analyse zeigt, daß der neue Sprachgebrauch, die neue Terminologie nicht Multikulturalität meint auf der Basis der grundsätzlichen Gleichheit und Gleichberechtigung der verschiedenen Ethnien, Kulturen und Sprachen. Es ist vielmehr die Erkenntnis, daß ökonomische und politische Integration auch die Auseinandersetzung mit dem zunehmenden multiethnischen Charakter zumindest der urbanen Bevölkerung erfordert. Diese deutschnationalen Kräfte sind in der Tat nicht gewillt, den monokulturellen Anspruch aufzugeben, die Dominanz des deutschen Kulturraumes, diese – in ihrer Vorstellungswelt – Spitze der Hierarchie aller Kulturen zu verändern. Sie propagieren ein Modell, das nicht auf der integrierten, gleichberechtigten und gleichwertigen Entwicklung unterschiedlicher Kulturen basiert. Dieses Modell soll vielmehr einen Austausch verhindern, denn die Schreckensvision »volkstumsbewußter« Kulturdeutscher ist kultureller Austausch, den sie als »kulturellen Einheitsbrei« denunzieren. Offene interkulturelle Beziehungen lehnen sie strikt ab (vgl. Fischer/Gstettner/Konrad/Larcher 1990: Lorenzener Erklärung). Ihr Modell des Zusammenlebens verschiedener Völker baut auf neuen Grenzziehungen. Den Schutz von Minderheiten lassen sie nur in engen Grenzen und nicht darüber hinaus gelten, ihr Modell zielt in Wirklichkeit auf Segregation und Abdrängen in Reservate ab: Sie lassen Minderheitenschutz nur in einem klar umrissenen, rechtlich wohldefinierten Territorium zu und auch nur für diejenigen, die ihre Minderheitenzugehörigkeit nachweisen können bzw. durch einen legistischen Akt dokumentieren (Anmeldungen, Bekenntniszwang, Quotierungen, ethnischer Proporz usw.). In der Praxis werden alle legistischen und administrativen Mittel genützt, den Minderheitenangehörigen die Wahrnehmung ihrer elementaren Rechte zu vermiesen.

Das Doppelspiel ist zudem leicht zu durchschauen: einerseits treten die deutschnationalen Kräfte für die Forderung ein, das Windische wissenschaftlich zu bearbeiten, und auf der anderen Seite bekämpfen sie das Slowenische mit allen Mitteln. Das Windische soll wieder die Rolle des politischen Instruments zur Spaltung der Slowenen spielen. Politisches Kalkül der Deutschnationalen ist es, die Windischen« gegen die Slowenen zu mobilisieren. Doch: das Windische als selbständige Sprache, eine windische Volksgruppe ist eine Fiktion.

Nach den Vorstellungen der Deutschnationalen sollen diese Windischen jene ethnische, sprachliche und kulturelle Kategorie darstellen, wie sie KHD-Obmann J. Feldner folgendermaßen definiert (in: Grenzlandjahrbuch 1990:87): »kindische sind bodenständige Kärntner, die neben ihrem urtümlichen slawisch-deutschen Mischdialekt und der regionalen Deutschkärntner Mundart im Schriftverkehr ausschließlich die deutsche Hochsprache gebrauchen. Die slowenische Schriftsprache ist ihnen unbekannt oder zumindest ungeläufig.« Die Deutschnationalen definieren sich für ihre politischen Zwecke das Windische also als »Mischdialekt« zurecht, als »Defizitsprache«, weisen ihm nur die Rolle einer Haus- und Hofsprache zu, ohne eigene Schriftform, und da das Windische auch kein Kulturdialekt sein kann, ist es nur in Abhängigkeit vom Deutschen denkbar.

Solange dieser Status von den Betroffenen auch als solcher unveränderlich akzeptiert, die Dominanz des Deutschen widerspruchslos akzeptiert wird, gilt das Zusammenleben als »friedlich«. Um eine Emanzipation des/der »kindischen« zu verhindern, versuchen die Deutschnationalen mit allen Mitteln zu zeigen, daß das 'Windische« mit der neuslowenischen Schriftsprache nichts gemeinsam hat, unverständlich sei etc. Tatsache aber ist, daß die Distanz zwischen Schriftsprache und Dialekten in den verschiedensten Sprachen unterschiedlich groß sein kann und nur durch eine entsprechende Schulbildung, in der die Hochsprache vermittelt wird, verringert werden kann. Diesen Zusammenhang versuchen die Deutschnationalen zu leugnen bzw. zu verschleiern, da sie selbst als die treibenden politischen Kräfte bloßgestellt würden, die bisher eine sprachliche und kulturelle Entfaltung der Slowenen in Kärnten systematisch verhinder/te/n. Deshalb verbreiten sie auch die Mär, die Slowenen selbst hätten ihre eigene Germanisierung verursacht und vorangetrieben: »Nicht die Deutschkärntner haben die indischen germanisiert, sondern slowenischnationale Bestrebungen, die indischen als Slowenen zu reklamieren, haben diese zur freiwilligen Aufgabe ihres Volkstums gezwungen. Weil sie nicht Windische bleiben durften und nicht Slowenen werden wollten, bekannten sie sich als Deutschkämtner!« (Feldner im »Grenzlandjahrbuch« 1990:87)

Die Existenz der slowenischen Schriftsprache wurde von den Deutschnationalen immer schon vehement bekämpft: sie ist real das Zeichen der Emanzipation von der deutschen Vorherrschaft im kulturellen Bereich. Die Unterstellung, sie sei »landesfremd«, »künstlich«, für die Windischen »unverständlich«, »wesensfremd« etc. («Ruf der Heimat« verschiedene Nummern) ist der Ausdruck dieses Kulturkampfes auf der »Schlagwortebene«.

Die Annahme, die Wendischen/Slowenen hätten ihre Sprache nur aufgrund von politischer Agitation aufgegeben, ist absurd. Noch nie und nirgends hat eine Volksgruppe freiwillig, d.h. ohne direkte bzw. strukturelle Gewalt, ihre Sprache und Kultur aufgegeben. Diese Folgen der historisch nachweisbar germanisierenden Politik in Kämten sollen nicht den eigentlichen Verursachern, sondern den Opfern selbst zugewiesen werden.


KOLONIALISMUS UND SPRACHE
IM KÄRNTNER KONTEXT
Den Zusammenhang von Kolonialismus und Sprache, Sprachpolitik hat Calvet (1978) insbesondere anhand der französischen Kolomen diskutiert. »Schließlich kommt das Stadium des Neo-Kolonialismus, in dem das linguistische Problem gelegentlich zur Hauptseite wird, wobei die linguistische Machtstellung gleichzeitig Voraussetzung und Maske für politische und wirtschaftliche Machtpositionen ist.« (Calvet:1978:30). Gstettner (1990) interpretiert Calvet für Kärnten:
* Die politische Aufspaltung und Herabwürdigung von Sprachen soll »wissenschaftlichen Firnis« erhalten. Haiders Forderung nach der Aufzeichnung des Windischen heißt nichts anderes, als daß eine ethnische Bekenntniskategorie wieder aktualisiert und eingefordert wird, um die slowenische Volksgruppe zu spalten.
* Für die »Windischen«, d.h. diejenigen, die sich freiwillig den deutschnational dominierten Vorstellungen unterstellt haben, gibt es als Belohnung Angebote. Die Strategie ist klar: den Slowenen nichts, den »Windischen« Brosamen - aber nur dann, wenn sie sich von den Slowenen klar abgrenzen und dies auch immer und überall beweisen.
Wie. immer gibt es in solchen Fällen auch Profiteure eines solchen Angebots:
– die lokalen Kollaborateure aus der sozialen Mittel- und Oberschicht (Geschäftsleute, Juristen, u.a.)
– das »Dienstpersonal«, das an Ort und Stelle von den neuen Herrschern rekrutiert wird (technisches Personal, Chauffeure, Sekretäre etc)
– politikabhängige Intellektuelle (wie landessubventionierte Wissenschaftler, Künstler etc.).

SCHLUSSBEMERKUNG
Der »linguistische Zentralismus« (Calvet) des offiziellen Kärnten fördert die monokulturelle Expansion. Der an sich schon enge Rahmen der Minderheitengesetze wird noch weiter unterlaufen, indem »Windisches« und Slowenisches gegeneinander ausgespielt werden.
Das Windische heute ist ein Synonym für psychosoziale und politische Überanpassung und Identitätsaufgabe, die klassische Identifikation mit dem Aggressor/Okkupanten/Kolonisator.

LITERATURHINWEISE
Calvet, LJ.: Die Sprachenfresser. Ein Versuch über Linguistik und Kolonialismus. Berlin 1978.
Fischer, G.: Das Slowenische in Kärnten. Eine Studie zur Sprachenpolitik. Klagenfurt 1980,1990.
Fischer, G./Gstettner, P/Konrad, H./Larcher, D.: Die »Lorenzener Erklärung«. Ein Produkt aus der ideologischen Kaderschmiede der FPÖ. In: Forum 433-5/1990:2-5.
Gstettner, P: Die Wiederentdeckung des »Windischen« - ein Beitrag zur kulturellen Vielfalt Kärntens? Referat und Thesenpapier beim Workshop »Politik in der Sprache/Sprache in der Politik.« Österreichische Linguistentagung Wien 14.11.1989.
Haas, H./Stuhlpfarrer, K.: Österreich und seine Slowenen. Wien 1977.
Ude, L./Zorn, T/Pleterski, J.: Teorija o vindisarjih - »Windische«. In: Korosko vprasanje. Ljubijana 1976:163-212.
Wutte, M.: Deutsch-Windisch-Slowenisch. Klagenfurt 1930.


Aus: Aufrisse Nr.3/1990