Wilhelm Neumann |
Die Idee des »windischen«
Erzherzogtums Kärnten und das Privilegium maius |
l. Werdegang der Idee Besonders interessieren alle jene Stellen der Einsetzungsberichte, in denen das Wort »w i n d i s c h« gebraucht wird. Es hat bereits hier, wie auch später, zwei ganz verschiedene Inhalte. Der erste ist im Sinn einer einfachen Volks- und Sprachbezeichnung zu deuten; so sagt Ottokar, daß der Bauer »windischer rede« pflegen soll, und dasselbe Johann von Viktring (sclavíce proclamabit). Die Ländherren antworten – offenbar deutsch – für den des Windischen unkundigen Landesfürsten. Trotzdem soll er vor dem Reiche verpflichtet sein, nur in windischer und keiner anderen Sprache auf Klagen zu antworten. Nach dem Schwabenspiegeleinschub soll aber nur »ain windischer man« die vom Herzog nach Belieben abzuweisende Klage erheben können. Das bedeutet keinesfalls eine Festlegung der Volkstumszugehörigkeit, wie man auf den ersten Blick meinen könnte. Hier ist »windischer man« nicht im sprachlichen und nationalen, sondern im territorialen Sinn in der Bedeutung Einwohner des Landes Kärnten gebraucht. Dieser Wortsinn ist überdies durch den Reimchronisten bestätigt, dessen Bezeichnung der »windische herre« für den landfremden Grafen Meinhard von Tirol nur als ein durchaus schmückend gemeintes Synonym für Herzog von Kärnten anzusehen ist. Dasselbe gilt wahrscheinlich auch für die Verwendung des Adjektivs windisch für die einzelnen Teile der bäuerlichen oder jägermeisterlichen Tracht im Schwabenspiegeleinschub. Es bezeichnet einfach die Landestracht. Windisch in dieser zweiten Verwendung bedeutet hier also kärntnerisch25), wobei die Erinnerung an die slawische Vergangenheit des Landes mitschwingt. Später wird sich dieser Wortsinn zu einer Formel mit besonderem politischem Inhalt wandeln, der ebenfalls keine sprachlichen und volklichen Bezüge zu den übrigens völlig widersprechenden völkischen Gegebenheiten haben wird. Zu unterscheiden ist jedenfalls diese Bedeutung des Wortes windisch von dem abwertenden Sinn der früher vorgeführten Beispiele aus dem 17. Jh. Es ist im Kärntner Munde noch bis ans Ende des 16. Jh.s durchaus ein Epitheton ornans, das /auch der deutsche Kärntner gerne in bestimmtem Sinn für sich in Anspruch nahm. Für diese Wertung liefert das Werk Christalnicks den besten Beweis26). Besonders deutlich wird dies bei Jakob UNREST in seiner 1490 verfaßten
Kärntner Chronik27). Unrest spricht von der alten Freiheit der Kärntner
Herzoge, sich vor dem Reiche in windischer Sprache zu verantworten, genau
mit den Worten der Stainreuterschen Chronik der 95 Herrschaften, setzt
aber aus eigenem dieses angebliche Vorrecht erklärend hinzu: »darumb,
daß Kerndten ein rechts windisch Landt ist«. Voll entfaltet sind diese in der UngnadischenChronik, einer interessanten, bis jetzt noch nicht näher untersuchten Familiengeschichte der Kärntner Un-gnade aus der ersten Hälfte des 16. Jh.s31). Hier heißt es nachi der Erzählung der Bräuche am Zollfeld: »Ich hab auch in allen puechern funden, daß Kärnden allweg ain hertzogtum gewesen ist und das ain hertzog in Chrain hat seine leben von ihm empfahen müessen, darumb ist es ain ertzhertzogthumb. Hat auch ain hertzog in Kärnden von dem Römischen Kaiser seine lehen alleweg auf a einem phärdt emphangen ; mit solichen grossen freihaiten ist das hertzogthumb Kärnden für alle hertzogthumb in gantzer christenhait gefreidt. Sunderist ist dasselb hertzogthumb mit dem, das es wider alle hertzogthumb dem all zu guet ain phaltzgrafen hat, mit seiner freihait ainem khunigreich gleich.« Es folgt weiter das Recht des Kärntner Herzogs, sich vor dem Reich nur in windischer Sprache zu verantworten. Später wird die Einsetzungszeremonie Herzog Ernsts geschildert, und daran schließt der unbekannte Verfasser nochmals die Bemerkung: »Ich sag auch nach wie vor, dass das fuerstenthumb Kärnden mit sein freihaiten ain khunigreich übertrifft, wo es darpey gehalten würde«. Aus dieser sehr selbstbewußten Verherrlichung Kärntens ist vor allem die Behauptung daß der Kärntner Herzog seine Reichslehen stets zu Pferde empfangen habe, bemerkenswert. Kein Zweifel kann darüber bestehen, daß diese Theorie nur aus dem Privilegium maius herstammen kann, wo freilich dieses Recht dem österreichischen Herzog zusteht. Es wäre eine eigene Untersuchung nötig, festzustellen, auf welchem Weg der unbekannte Verfasser diesen Passus über die Belehnung zu Pferd erfahren haben mag und wie es zu dieser Transponierung auf Kärnten gekommen sein kann. Daß die österreichischen Freiheitsbriefe in den inneren Auseinandersetzungen des 14 und 15. Jh.s nie ganz in Vergessenheit gerieten, ist schon in älteren Arbeiten dargetan worden32). Auch Herzog Friedrich von Tirol hatte neben den Freiheiten des Tiroler Landes das Privilegium maius in den ersten Band der Lehenbücher der Grafschaft Tirol eintragen lassen33). Diese nur Äußerlichkeiten betreffenden und der Eitelkeit Rudolfs IV. dienenden Punkte des Maius erlangten jedenfalls sehr lange keinerlei Bedeutung. Aus der Chronik der 95 Herrschaften, welche der unbekannte Verfasser der Ungnadischen Chronik sonst weithin ausschrieb, konnte er ihre Kenntnis nicht schöpfen. Nur einmal wird meines Wissens dieser eigenartige Belehnungsparagraph des Privilegium maius reproduziert, nämlich in den »Tabulae Claustro Neoburgenses«, welche Ladislaus SUNTHAYM im J. 1491 in Basel im Druck veröffentlichte34). Darin heißt es vom österreichischen Herzog, er sei »für ander Fürsten des Reichs« von Kaiser Friedrich mit vielen besonderen Freiheiten begabt worden, »insonder, das er und sein nachkamen, hertzogen zu Österreich, ain geritzts krentzlin in irem hertzoghuetlein fueren söllen und ir lehen zu ross und in irem land, nit auserhalb des landes empfangen mügen«. Ob diese Publikation dem Verfasser der Ungnadischen Chronik als Quelle diente, mag dahingestellt bleiben, die Übertragung der hier behaupteten, in dieser Form aber noch niemals geübten Belehnung gerade auf Kärnten ist vorläufig noch nicht zu durchleuchten, sondern einfach als Tatsache festzuhalten. Es vollzogen sich damit psychologisch und geistesgeschichtlich sehr interessante
Vorgänge, als deren Ergebnis schließlich eine eigene Ideologie
und ein besonderes Kärntner Landesbewußtsein entstanden. Hatte
Unrest noch gesagt, der Gebrauch des uralten Kärntner Erzherzogstitels
sei abgekommen, so war dieser schon zu Beginn des 16. Jh.s doch wieder
in Übung. Die Kärntner Stände schlagen im 16. Jh. Münzen,
auf denen sie das Land Archiducatus nennen, und in den offiziellen ständischen
Akten der Landtagseröffnung bezeichnen sie es immer als Erzherzogtum,
sogar im Widerspruch zum Landesfürsten, der diese Titulatur verweigerte.
Paracelsus nannte Kärnten in seiner kleinen Chronik manchmal Erzherzogtum,
und Wolfgang Lazius zerbrach sich schon den Kopf darüber, wann Kärnten
den Erzherzogtitel verloren habe, den eben Unrest historisch abgeleitet
hatte. Er meinte, ein Aufstand seines Herzogs gegen Kaiser Otto I. hätte
zur Aberkennung geführt. Der rheinische Humanist und Jurist Jakob
Spiegel erklärte dagegen, der Titel sei erst unter Otto I. aufgekommen.
Beide tat dann aber Christalnick ab, indem er die Kärntner Erzherzogwürde
direkt von Karl d. Gr. herleitete, jeden späteren Verlust bestritt
und immer wieder erklärte, die Habsburger seien gerade erst durch
die Erwerbung Karntens im J. 1335 Erzherzoge geworden; denn es sei unleugbar,
daß Kärnten lange, bevor Österreich diesen Titel erhalten
habe, ein Erzherzogtum gewesen sei und daß die österreichischen
Herzöge ihn allein von Kärnten her geerbt hätten35). Die
Bestätigung des Privilegium Ich fasse zusammen: a) Die Kärntner Fürstensteinbräuche wurden gerade in der Zeit, da sie seit 1414 nicht mehr geübt worden waren und an ihre Stelle bloße Schadlosverschreibungen der Landesfürsten traten, zu einem besonderen Gegenstand des landschaftlichen Stolzes, sie wurden zu Landesfreiheiten im ständischen Sinn und trugen zur Ausbildung eines starken Landesselbstbewußtseins im 15. und 16. Jh. bei. Der durch Johann von Viktring, Stainreuter und Jakob Unrest bezeugte adelsstolze Spott der österreichi- schen Feudalherren tat ihrer Hochschätzung keinen Abbruch. b) Ihre tatsächlich vorhandene Verknüpfung mit dem Privilegium maius – Erzherzogtitel, Jägermeisteramt, Gerichtsklausel, Belehnung zu Pferd – wurde in Kärnten gleichsam rückläufig wieder bewußt und sogar noch weiter übersteigert. c) Deutlichster Ausdruck dieses besonderen Kärntner Landesbewußtseins ist der - Stolz auf das «Windischsein« des Landes. Das findet seine Erklärung nicht m den – wie wir sahen – ganz gegenteilig gearteten Volkstumsverhältnissen es verträgt sich daher auch mit einem vielfach feststellbaren deutschen Nationalgefühl, sondern diese «windische Ideologie« ist Ausdruck eines historisierenden landschaftlichen Sonderbewußtseins des deutschen Kärntner Adels; es gipfelt in der Überzeugung, daß Kärnten kein Land sei wie die anderen habsburgischen Erblander, sondern daß ihm eine hervorragende Stellung unter ihnen und den übrigen Fürstentümern des Reiches zukomme. Damit ist der Grund für die Darstellung des realpolitischen Wirksamwerdens dieser Ideologie für die habsburgisch-österreichische Staatsbildung geschaffen. Es ist wahrscheinlich Zufall, daß diese Ideologie vom »windischen« Erzherzogtum Kärnten zugleich mit den österreichischen Freiheitsbriefen aktiviert wurde. Anmerkungen: Daß der Zusatz windisch gar keinen Bezug auf die Volkszugehörigkeit der Ortsbevölkerung zu haben braucht, beweist besonders klar der Ortsname Windisch-Matrei Der im äußersten Westen des mittelalterlichen Kärnten weitab von der dama igen Grenze des gemischtsprachigen Gebietes gelegene Ort verdankt den Zusatz ausschließlich der Unterscheidungsnotwendigkeit zu Matrei an der Brennerstraße. Eine solche war weniger in Kärnten spürbar, wozu diese salzburgische Herrschaft bis ins 16. Jh. gehörte, als in Südtirol, weil von hier aus sowohl die Brennerstraße als auch der wichtige Saumweg Felbertauern-Matrei-Lienz begangen wurden - Unter zwei Dutzend urkundlichen Erwähnungen Matreis ab 1190 bis 1310 kommt niemals der Zusatz windisch vor. Obwohl dieser an der äußersten Peripherie des von der hier sehr dünnen slowenischen Landnahme noch erreichten Gebietes hegt, ist damit ausgeschlossen dalS zur Zeit des Aufkommens des Zusatzes dieser etwas mit dem Volkscharakter der Einwohner zu tun haben könnte. Windisch-Matrei heißt der Ort sicher erst spater; das durfte wohl mit der Belebung des Saumverkehrs über die verschiedenen »Tauern seit dem 13. Jh. zusammenhängen. Slowenen gab es jedenfalls zu dieser Zeit dort weit und breit keine, nachdem falschen Argument Lessiaks im Falle von Pontafel mußte man hier infolge des späten Auftauchens des Zusatzes auf eine späte Slowenisierung schließen, was natürlich geradezu grotesk wäre. Es ist eindeutig, daß der Zusatz hier nichts anderes besagt, als daß der südlich des Alpenhauptkammes gelegene Ort im Gegensatz zum rein deutschen Salzburg zu dessen Herrschaft er gehörte, und zu seinem Namensbruder im deutschen Tirol in einem Land liegt, in dem freilich weitab auch Windische wohnten. Die Existenz der Minderheit und die besondere Landesgeschichte haben, außerhalb Kärntens als dessen Charakteristika angesehen diesen ethnisch völlig unbegründeten Zusatz zum Ortsnamen veranlaßt. In der Zeit nach der Abtrennung des Lienzer Gebietes und dessen Zuweisung an Tirol – nach 1500 – wäre der Zusatz kaum entstanden. Man darf dagegen nicht einwenden, daß auch vorher die Zugehörigkeit zu Kärnten nur eine lose gewesen sei. Im Volksbewußtsein war sie stark genug, daß noch nach der endgültig 1564 erfolgten Zuweisung an Tirol sich Studenten aus diesem Gebiet als »Carinthiacus« an deutschen Universitäten immatrikulierten. Hat hier der Zusatz zum Ortsnamen nur einen auf Gesamtkärnten beziehbarer also territorialen Sinn, so liegt etwas Ähnliches auch in dem Begriff der «windischen Säumer vor, mit dem in Salzburger Akten seit 1564 die Kärntner Säumer aus dem gemischtsprachigen Gailtal, meist »Säumer an der Gail« genannt, bedacht wurden. Herbert KLEIN hat diese interessanteste Gruppe der »Übertäurer« erstmals ausführlich dargestellt (Vgl. Anmerkung 10, besonders S. 54–63). Daraus ist bemerkenswert: Als Heimat wird meist nur »Windischland« oder »aus Windisch« angegeben. Säumer aus Krain begegnen aber überhaupt nicht, und aus anderen Angaben läßt sich das Gailtal als Herkunftsgebiet feststellen. Sie kamen also aus einem damals wie heute zweisprachigen Gebiet. Die zahlreichen Verhörsprotokolle erweisen, daß sie niemals sprachliche Schwierigkeiten hatten, manchmal schimmert deutlich der bairisch-österreichische Dialekt durch. Nur einmal redete sich ein Säumer bei einer Beanstandung auf einen Jungen aus, der sich »in diesen Tentschenland« noch nicht genug verständigen konnte. Auch in Welschland war ihre Geschäftssprache das Deutsche, und die deutschen Familiennamen sind unter diesen Windischen viel häufiger als man erwartet. Diese Feststellungen Kleins fügen sich zwanglos in die Kärntner Verhältnisse ein und erweisen ebenso wie Paolo Santonino ihr hohes Alter. In Kärnten ist der Begriff der windischen Säumer völlig unbekannt; nur von Säumern wird hier gesprochen, von denen die Krainer Säumer gelegentlich unterschieden werden. Daß der Ausdruck auch in Salzburg erst spät auftaucht, erklärt sich nach Kleins Beobachtungen daraus, daß das Kärntner Gailtal ein ausgesprochenes Rückzugsgebiet des Saumhandels gewesen ist. Nun fielen diese doppelsprachigen Kärntner Säumer natürlich besonders auf und wurden nach diesem Merkmal benannt. Immerhin traf neben dem territorialen Bezug anders als beim Ortsnamen Windisch-Matrei auch das ethnische Merkmal für einen Teil dieser Säumer zu. Daß ein ursprünglich ethnischer Begriff seines Sinnes aber auch völlig entkleidet werden konnte, dafür bringt Johann Weichard FREIHERR VON VALVASOR in seiner Ehre des Erzherzogtums Krain (Laibach-Nürnberg 1689, IV. Bd. S. 115 – Neudruck Rudolfswerth 1877) unter der Überschrift »Was durch Teutsche Knechte zu Carlstadt für Völker verstanden werden« ein bezeichnendes Beispiel: Die deutschen Knechte seien nämlich tapfere und den Janitscharen an Standhaftigkeit weit überlegene Soldaten, »absonderlich aber die zu Carlstadt, welche vor ändern diesen Vorzug haben, daß man sie Teutsche Knechte nennet, aber doch keine Teutsche, sondern Krabaten und andere Völker aus diesen Landen sind.« Diese Begriffsmetamorphose entsprang genau wie der Stolz des deutschen Kärntner Adels auf das Windischsein des Landes einer ganz bestimmten Situation, die man im Auge behalten muß, um Fehlschlüsse zu vermeiden. |
Aus: Wilhelm Neumann, Wirklichkeit und Idee des »windischen« Erzherzogstums Kärnten, München 1961. |