Wilhelm Neumann
Die Idee des »windischen« Erzherzogtums Kärnten
und das Privilegium maius
l. Werdegang der Idee
Besonders interessieren alle jene Stellen der Einsetzungsberichte, in denen das Wort »w i n d i s c h« gebraucht wird. Es hat bereits hier, wie auch später, zwei ganz verschiedene Inhalte. Der erste ist im Sinn einer einfachen Volks- und Sprachbezeichnung zu deuten; so sagt Ottokar, daß der Bauer »windischer rede« pflegen soll, und dasselbe Johann von Viktring (sclavíce proclamabit). Die Ländherren antworten – offenbar deutsch – für den des Windischen unkundigen Landesfürsten. Trotzdem soll er vor dem Reiche verpflichtet sein, nur in windischer und keiner anderen Sprache auf Klagen zu antworten.

Nach dem Schwabenspiegeleinschub soll aber nur »ain windischer man« die vom Herzog nach Belieben abzuweisende Klage erheben können. Das bedeutet keinesfalls eine Festlegung der Volkstumszugehörigkeit, wie man auf den ersten Blick meinen könnte. Hier ist »windischer man« nicht im sprachlichen und nationalen, sondern im territorialen Sinn in der Bedeutung Einwohner des Landes Kärnten gebraucht. Dieser Wortsinn ist überdies durch den Reimchronisten bestätigt, dessen Bezeichnung der »windische herre« für den landfremden Grafen Meinhard von Tirol nur als ein durchaus schmückend gemeintes Synonym für Herzog von Kärnten anzusehen ist. Dasselbe gilt wahrscheinlich auch für die Verwendung des Adjektivs windisch für die einzelnen Teile der bäuerlichen oder jägermeisterlichen Tracht im Schwabenspiegeleinschub. Es bezeichnet einfach die Landestracht. Windisch in dieser zweiten Verwendung bedeutet hier also kärntnerisch25), wobei die Erinnerung an die slawische Vergangenheit des Landes mitschwingt. Später wird sich dieser Wortsinn zu einer Formel mit besonderem politischem Inhalt wandeln, der ebenfalls keine sprachlichen und volklichen Bezüge zu den übrigens völlig widersprechenden völkischen Gegebenheiten haben wird. Zu unterscheiden ist jedenfalls diese Bedeutung des Wortes windisch von dem abwertenden Sinn der früher vorgeführten Beispiele aus dem 17. Jh. Es ist im Kärntner Munde noch bis ans Ende des 16. Jh.s durchaus ein Epitheton ornans, das /auch der deutsche Kärntner gerne in bestimmtem Sinn für sich in Anspruch nahm. Für diese Wertung liefert das Werk Christalnicks den besten Beweis26).

Besonders deutlich wird dies bei Jakob UNREST in seiner 1490 verfaßten Kärntner Chronik27). Unrest spricht von der alten Freiheit der Kärntner Herzoge, sich vor dem Reiche in windischer Sprache zu verantworten, genau mit den Worten der Stainreuterschen Chronik der 95 Herrschaften, setzt aber aus eigenem dieses angebliche Vorrecht erklärend hinzu: »darumb, daß Kerndten ein rechts windisch Landt ist«.
In Unrests Kärntner Chronik wird überhaupt sichtbar, daß zu dieser Zeit die längst – seit 1414 – gar nicht mehr geübten Fürstenstein-Zeremonien zu einem Bestandteil der Landesfreiheiten geworden sind. Die große Verbreitung der Kärntner Chronik Unrests in zahlreichen Handschriften28) hat dies noch verfestigt. Johann von Viktring berichtete bereits, daß die Zeremonien auf das österreichische Gefolge Herzog Ottos abstoßend und lächerlich gewirkt hätten. Mit den Worten der um 1390 verfaßten Stainreuterschen Chronik spricht auch Unrest von der Ansicht etlicher Unvernünftiger, die darin ein Torenspiel sähen. Die Bräuche seien jedoch eine gute alte Gewohnheit und darum zu halten. Diese Apologie verbindet sich mit einem ausgesprochenen Stolz auf die Landesgeschichte auch im vordeutschen Zeitabschnitt. Samo ist darum schon bei Unrest ein großer windischer Herzog des Landes ebenso wie die Fürsten der Conversio. Dann tut das Kärntner Geschichtsbewußtsein jedoch einen wichtigen, Schritt weiter, indem Unrest die Entstehung der Einsetzungsbräuche als erster geschichtlich abzuleiten sucht: Er berichtet, nach einem der Awareneinfälle des ausgehenden 8. Jh.s sei das Missionszentrum Maria Saal zerstört worden und das Land lange verödet und ohne Herren gewesen. Als sich allmählich wieder Menschen sammelten, hätten sie aus ihrer Mitte einen Bauern als Herzog erwählt, von dem alle folgenden
Kärntner Herzöge abstammten. Damit habe die Lehenschaft von dem gemeinen Mann angefangen und sei später als eine Freiheit und Gerechtigkeit angesehen worden. Er fügt hinzu: »Darnach haben die Herzogen das Land erblich besessen und so löblich gelebt, daß sie für andere Herzogen gefreit wurden und genannt Erzherzogen von Kerndten. Wiewol es nun davon kommen ist, so ist es doch der recht Titulus Erzherzog von Kerndten...« Damit ist erstmals eine Kärntner Theorie über die Fürstensteinbräuche aufgestellt, und vor allem ist das eine bemerkenswert: der Erzherzogtitel wurde bereits von Unrest mit diesen Bräuchen verbunden und auf Kärnten radiziert. Daß der Erzherzogtitel mit dem Kärntner Fürstenstein irgendwie zusammenhänge, ist auch bei der Dynastie nie ganz vergessen worden. So legte sich schon Erzherzog Ernst, nachdem er sich im J. 1414 als letzter Herzog den Fürstenstein-Zeremo-nien unterzogen hatte, den von Rudolf IV. seit 1360 wieder abgelegten Erzherzogtitel neu zu29). Aeneas Sylvius schreibt in seiner »Europa« – 1490 gedruckt und deshalb für Unrest keine Quelle - in enger Verbindung mit den Zollfeld-Zeremonien: »Imperium Carinthiae Australes obtinent et archiducem appellant cui ea regio paret«30). Das bezieht sich gewiß nicht auf die Erneuerung des Erzherzogtitels, welche Friedrich III. ausschließlich für die Angehörigen der innerösterreichischen Linie durch die Bestätigung und Erweiterung der rudolfinischen Urkunden im J. 1453 vorgenommen hatte. So verband sich also in der Kärntner Geschichtsschreibung und in der Folge im Geschichtsbewußtsein vor allem des Kärntner Adels, aber selbst außerhalb Karntens in eigenartiger Weise spät der Erzherzogtitel, den Rudolf IV. aus Kärntner Voraussetzungen und Anregungen geschaffen hatte, wieder mit Kärnten, und nun beginnt er sogar auf dem fruchtbaren Boden des starken Kärntner Landesbewußtseins noch weitere seltsame Ableger zu treiben.

Voll entfaltet sind diese in der UngnadischenChronik, einer interessanten, bis jetzt noch nicht näher untersuchten Familiengeschichte der Kärntner Un-gnade aus der ersten Hälfte des 16. Jh.s31). Hier heißt es nachi der Erzählung der Bräuche am Zollfeld: »Ich hab auch in allen puechern funden, daß Kärnden allweg ain hertzogtum gewesen ist und das ain hertzog in Chrain hat seine leben von ihm empfahen müessen, darumb ist es ain ertzhertzogthumb. Hat auch ain hertzog in Kärnden von dem Römischen Kaiser seine lehen alleweg auf a einem phärdt emphangen ; mit solichen grossen freihaiten ist das hertzogthumb Kärnden für alle hertzogthumb in gantzer christenhait gefreidt. Sunderist ist dasselb hertzogthumb mit dem, das es wider alle hertzogthumb dem all zu guet ain phaltzgrafen hat, mit seiner freihait ainem khunigreich gleich.« Es folgt weiter das Recht des Kärntner Herzogs, sich vor dem Reich nur in windischer Sprache zu verantworten. Später wird die Einsetzungszeremonie Herzog Ernsts geschildert, und daran schließt der unbekannte Verfasser nochmals die Bemerkung: »Ich sag auch nach wie vor, dass das fuerstenthumb Kärnden mit sein freihaiten ain khunigreich übertrifft, wo es darpey gehalten würde«.

Aus dieser sehr selbstbewußten Verherrlichung Kärntens ist vor allem die Behauptung daß der Kärntner Herzog seine Reichslehen stets zu Pferde empfangen habe, bemerkenswert. Kein Zweifel kann darüber bestehen, daß diese Theorie nur aus dem Privilegium maius herstammen kann, wo freilich dieses Recht dem österreichischen Herzog zusteht. Es wäre eine eigene Untersuchung nötig, festzustellen, auf welchem Weg der unbekannte Verfasser diesen Passus über die Belehnung zu Pferd erfahren haben mag und wie es zu dieser Transponierung auf Kärnten gekommen sein kann.

Daß die österreichischen Freiheitsbriefe in den inneren Auseinandersetzungen des 14 und 15. Jh.s nie ganz in Vergessenheit gerieten, ist schon in älteren Arbeiten dargetan worden32). Auch Herzog Friedrich von Tirol hatte neben den Freiheiten des Tiroler Landes das Privilegium maius in den ersten Band der Lehenbücher der Grafschaft Tirol eintragen lassen33). Diese nur Äußerlichkeiten betreffenden und der Eitelkeit Rudolfs IV. dienenden Punkte des Maius erlangten jedenfalls sehr lange keinerlei Bedeutung. Aus der Chronik der 95 Herrschaften, welche der unbekannte Verfasser der Ungnadischen Chronik sonst weithin ausschrieb, konnte er ihre Kenntnis nicht schöpfen. Nur einmal wird meines Wissens dieser eigenartige Belehnungsparagraph des Privilegium maius reproduziert, nämlich in den »Tabulae Claustro Neoburgenses«, welche Ladislaus SUNTHAYM im J. 1491 in Basel im Druck veröffentlichte34). Darin heißt es vom österreichischen Herzog, er sei »für ander Fürsten des Reichs« von Kaiser Friedrich mit vielen besonderen Freiheiten begabt worden, »insonder, das er und sein nachkamen, hertzogen zu Österreich, ain geritzts krentzlin in irem hertzoghuetlein fueren söllen und ir lehen zu ross und in irem land, nit auserhalb des landes empfangen mügen«. Ob diese Publikation dem Verfasser der Ungnadischen Chronik als Quelle diente, mag dahingestellt bleiben, die Übertragung der hier behaupteten, in dieser Form aber noch niemals geübten Belehnung gerade auf Kärnten ist vorläufig noch nicht zu durchleuchten, sondern einfach als Tatsache festzuhalten.

Es vollzogen sich damit psychologisch und geistesgeschichtlich sehr interessante Vorgänge, als deren Ergebnis schließlich eine eigene Ideologie und ein besonderes Kärntner Landesbewußtsein entstanden. Hatte Unrest noch gesagt, der Gebrauch des uralten Kärntner Erzherzogstitels sei abgekommen, so war dieser schon zu Beginn des 16. Jh.s doch wieder in Übung. Die Kärntner Stände schlagen im 16. Jh. Münzen, auf denen sie das Land Archiducatus nennen, und in den offiziellen ständischen Akten der Landtagseröffnung bezeichnen sie es immer als Erzherzogtum, sogar im Widerspruch zum Landesfürsten, der diese Titulatur verweigerte. Paracelsus nannte Kärnten in seiner kleinen Chronik manchmal Erzherzogtum, und Wolfgang Lazius zerbrach sich schon den Kopf darüber, wann Kärnten den Erzherzogtitel verloren habe, den eben Unrest historisch abgeleitet hatte. Er meinte, ein Aufstand seines Herzogs gegen Kaiser Otto I. hätte zur Aberkennung geführt. Der rheinische Humanist und Jurist Jakob Spiegel erklärte dagegen, der Titel sei erst unter Otto I. aufgekommen. Beide tat dann aber Christalnick ab, indem er die Kärntner Erzherzogwürde direkt von Karl d. Gr. herleitete, jeden späteren Verlust bestritt und immer wieder erklärte, die Habsburger seien gerade erst durch die Erwerbung Karntens im J. 1335 Erzherzoge geworden; denn es sei unleugbar, daß Kärnten lange, bevor Österreich diesen Titel erhalten habe, ein Erzherzogtum gewesen sei und daß die österreichischen Herzöge ihn allein von Kärnten her geerbt hätten35). Die Bestätigung des Privilegium
maius durch Friedrich III. für die innerösterreichische Linie kann nicht die Quelle dieser Konstruktionen gewesen sein.

Ich fasse zusammen:

a) Die Kärntner Fürstensteinbräuche wurden gerade in der Zeit, da sie seit 1414 nicht mehr geübt worden waren und an ihre Stelle bloße Schadlosverschreibungen der Landesfürsten traten, zu einem besonderen Gegenstand des landschaftlichen Stolzes, sie wurden zu Landesfreiheiten im ständischen Sinn und trugen zur Ausbildung eines starken Landesselbstbewußtseins im 15. und 16. Jh. bei. Der durch Johann von Viktring, Stainreuter und Jakob Unrest bezeugte adelsstolze Spott der österreichi- schen Feudalherren tat ihrer Hochschätzung keinen Abbruch.

b) Ihre tatsächlich vorhandene Verknüpfung mit dem Privilegium maius – Erzherzogtitel, Jägermeisteramt, Gerichtsklausel, Belehnung zu Pferd – wurde in Kärnten gleichsam rückläufig wieder bewußt und sogar noch weiter übersteigert.

c) Deutlichster Ausdruck dieses besonderen Kärntner Landesbewußtseins ist der - Stolz auf das «Windischsein« des Landes. Das findet seine Erklärung nicht m den – wie wir sahen – ganz gegenteilig gearteten Volkstumsverhältnissen es verträgt sich daher auch mit einem vielfach feststellbaren deutschen Nationalgefühl, sondern diese «windische Ideologie« ist Ausdruck eines historisierenden landschaftlichen Sonderbewußtseins des deutschen Kärntner Adels; es gipfelt in der Überzeugung, daß Kärnten kein Land sei wie die anderen habsburgischen Erblander, sondern daß ihm eine hervorragende Stellung unter ihnen und den übrigen Fürstentümern des Reiches zukomme.

Damit ist der Grund für die Darstellung des realpolitischen Wirksamwerdens dieser Ideologie für die habsburgisch-österreichische Staatsbildung geschaffen. Es ist wahrscheinlich Zufall, daß diese Ideologie vom »windischen« Erzherzogtum Kärnten zugleich mit den österreichischen Freiheitsbriefen aktiviert wurde.

Anmerkungen:
25) In diesem Sinne äußerte sich schon Georg GRABER, Schwabenspiegel und Einritt am Fürstenstein, Carinthia I, 132. Jg., 1942, S. 186 ff. B. GRAFENAUER a.a.O. S. 584; hat dem heftig, aber unbegründet widersprochen und die rein ethnische Bedeutung des Wortes »windisch« betont. Vgl. Exkurs S. 167 f.
26) Dafür vgl. mein Buch über Christalnick, a.a.O. S. 67 ff. und 75 ff.
27) Ed. von S. F. HAHN in Collectio monumentorum veterum et recentium ineditorum, Tomus I, S. 479–536, Braunschweig 1724.
28) Dazu Karl GROSSMANN, Jakob Unrest, österreichische Chronik; Monumenta Germaniae historica, Scriptores rerum germanicarum, N. S. Tom. XI, S. XIV, Weimar 1957, und meine Ergänzungen in Südostdeutsches Archiv, 2. Bd. 1959, s. 14, Anm. 5.
29) Martin WUTTE, Die letzte Erbhuldigung in Klagenfurt, Carinthia I, 119. Jg. 1929, S. 61.
30) Mein Christalnickbuch, S. 71.
31) Ebda, und S. 108.
32) H R v ZEISSBERG, Der österreichisdie Erbfolgestreit nach dem Tode des Ladislaus io-
stumus '(1457/8) im Lichte der habsburgischen Hausverträge. Archiv f. österr. Geschichte
58. Bd. 1879. S. 5, 57 ff.
33) Otto STOLZ, Geschichte des Landes Tirol, l. Bd.. Innsbruck 1955, S. 486.
34) Ed. v. PEZ in den Scriptores rerum Austriacarum, Tom. l, S. 1014, Leipzig 1721. Dazu
Fritz EHEIM, Ladislaus Sunthaym. MIÖG., 67. Bd. 1959, S. 53 ff.
35) Mein Christalnickbuch, S. 69–73.


Exkurs zu S. 152
Zur Bedeutung des Wortes »Windisch«
Abgesehen davon, was die Gesamtheit meiner Ausführungen zur Wortbedeutung beiträgt, sei noch auf folgende Nuancierungen hingewiesen: Eine Reihe von Kärntner Siedlungsnamen weisen den Zusatz »Deutsch-« oder »Windisch-« auf. Sofern es sich dabei um alte echte Namen handelt – manche dieser Zusätze hat erst das Unterscheidungsbedürfnis der Verwaltungsbehörden des 18 u. 19. Jh.s geschaffen - besagen sie in Kärnten, daß der eine Ort im rein deutschen, der andere gleichnamige im gemischtsprachigen Gebiet des Landes liegt. Zum Teil geben sie alte Sprachgrenzverhältnisse (Deutsche Teichen - Windische Teichen, Deutschberg - Windischberg) oder besondere Verkehrsbeziehungen wieder: Die deutsche Feistritz im Drautal war mit der windischen Feistritz im Gailtal über die Windische Höhe durch einen alten Verkehrsweg verbunden. Die heutige Italienerstraße in Villach hieß früher die welsche und auch die windische Straße und die Obere Vorstadt, durch die sie führt, die welsche oder windische Vorstadt, nicht weil dort Italiener oder Windische gewohnt hätten - das war nicht der Fall – sondern weil hier die Hauptstraße nach Italien und Kram durchführte. Pontatel, der Grenzen: Altkärntens gegen die Republik Venedig, begegnet im 16. und 17. Jh. als die windische und auch die deutsche Pontafel im Gegensatz zum jenseits des Grenzbaches gelegenen Pontebba. das die welsche Pontafel heißt. Während für diesen Namen das territoriale und das ethnische Merkmal zusammentreffen, sind die entsprechenden Zusatze beim Kärntner Pontafel keineswegs als Aussagen über die volkliche Zugehörigkeit der Ortsbevölkerung aufzufassen. Diese Auslegung vertrat Primus LESSIAK (Carinthia I, 110. Jg., 1920, b. 21 J. Weil bis 1611 nur der Zusatz windisch begegne und dieser erst seit 1673 durch deutsch ersetzt werde, meinte er, der Ort habe seinen deutschen Charakter erst spater erhalten. Aber schon ein Einwohnerverzeichnis von 1578 zeigt die deutschen Namen weit in der Mehrzahl. Beide Zusätze sind gewiß nicht auf den ethnischen Charakter der Ortsbevölkerung, sondern nur des hier an der Landesgrenze beginnenden Territoriums zu beziehen, wobei deutsch eben den mehrheitlichen Charakter des ganzen Landes, windisch das Charaktenstikum des ia auch hier beginnenden gemischtsprachigen Landesteiles heraushebt. Beides sind Kontrasttormen zur welschen Pontafel. dem ersten Ort auf venezianischem Gebiet.

Daß der Zusatz windisch gar keinen Bezug auf die Volkszugehörigkeit der Ortsbevölkerung zu haben braucht, beweist besonders klar der Ortsname Windisch-Matrei Der im äußersten Westen des mittelalterlichen Kärnten weitab von der dama igen Grenze des gemischtsprachigen Gebietes gelegene Ort verdankt den Zusatz ausschließlich der Unterscheidungsnotwendigkeit zu Matrei an der Brennerstraße. Eine solche war weniger in Kärnten spürbar, wozu diese salzburgische Herrschaft bis ins 16. Jh. gehörte, als in Südtirol, weil von hier aus sowohl die Brennerstraße als auch der wichtige Saumweg Felbertauern-Matrei-Lienz begangen wurden - Unter zwei Dutzend urkundlichen Erwähnungen Matreis ab 1190 bis 1310 kommt niemals der Zusatz windisch vor. Obwohl dieser an der äußersten Peripherie des von der hier sehr dünnen slowenischen Landnahme noch erreichten Gebietes hegt, ist damit ausgeschlossen dalS zur Zeit des Aufkommens des Zusatzes dieser etwas mit dem Volkscharakter der Einwohner zu tun haben könnte. Windisch-Matrei heißt der Ort sicher erst spater; das durfte wohl mit der Belebung des Saumverkehrs über die verschiedenen »Tauern seit dem 13. Jh. zusammenhängen. Slowenen gab es jedenfalls zu dieser Zeit dort weit und breit keine, nachdem falschen Argument Lessiaks im Falle von Pontafel mußte man hier infolge des späten Auftauchens des Zusatzes auf eine späte Slowenisierung schließen, was natürlich geradezu grotesk wäre. Es ist eindeutig, daß der Zusatz hier nichts anderes besagt, als daß der südlich des Alpenhauptkammes gelegene Ort im Gegensatz zum rein deutschen Salzburg zu dessen Herrschaft er gehörte, und zu seinem Namensbruder im deutschen Tirol in einem Land liegt, in dem freilich weitab auch Windische wohnten. Die Existenz der Minderheit und die besondere Landesgeschichte haben, außerhalb Kärntens als dessen Charakteristika angesehen diesen ethnisch völlig unbegründeten Zusatz zum Ortsnamen veranlaßt. In der Zeit nach der Abtrennung des Lienzer Gebietes und dessen Zuweisung an Tirol – nach 1500 – wäre der Zusatz kaum entstanden. Man darf dagegen nicht einwenden, daß auch vorher die Zugehörigkeit zu Kärnten nur eine lose gewesen sei. Im Volksbewußtsein war sie stark genug, daß noch nach der endgültig 1564 erfolgten Zuweisung an Tirol sich Studenten aus diesem Gebiet als »Carinthiacus« an deutschen Universitäten immatrikulierten.

Hat hier der Zusatz zum Ortsnamen nur einen auf Gesamtkärnten beziehbarer also territorialen Sinn, so liegt etwas Ähnliches auch in dem Begriff der «windischen Säumer vor, mit dem in Salzburger Akten seit 1564 die Kärntner Säumer aus dem gemischtsprachigen Gailtal, meist »Säumer an der Gail« genannt, bedacht wurden. Herbert KLEIN hat diese interessanteste Gruppe der »Übertäurer« erstmals ausführlich dargestellt (Vgl. Anmerkung 10, besonders S. 54–63). Daraus ist bemerkenswert: Als Heimat wird meist nur »Windischland« oder »aus Windisch« angegeben. Säumer aus Krain begegnen aber überhaupt nicht, und aus anderen Angaben läßt sich das Gailtal als Herkunftsgebiet feststellen. Sie kamen also aus einem damals wie heute zweisprachigen Gebiet. Die zahlreichen Verhörsprotokolle erweisen, daß sie niemals sprachliche Schwierigkeiten hatten, manchmal schimmert deutlich der bairisch-österreichische Dialekt durch. Nur einmal redete sich ein Säumer bei einer Beanstandung auf einen Jungen aus, der sich »in diesen Tentschenland« noch nicht genug verständigen konnte. Auch in Welschland war ihre Geschäftssprache das Deutsche, und die deutschen Familiennamen sind unter diesen Windischen viel häufiger als man erwartet. Diese Feststellungen Kleins fügen sich zwanglos in die Kärntner Verhältnisse ein und erweisen ebenso wie Paolo Santonino ihr hohes Alter. In Kärnten ist der Begriff der windischen Säumer völlig unbekannt; nur von Säumern wird hier gesprochen, von denen die Krainer Säumer gelegentlich unterschieden werden. Daß der Ausdruck auch in Salzburg erst spät auftaucht, erklärt sich nach Kleins Beobachtungen daraus, daß das Kärntner Gailtal ein ausgesprochenes Rückzugsgebiet des Saumhandels gewesen ist. Nun fielen diese doppelsprachigen Kärntner Säumer natürlich besonders auf und wurden nach diesem Merkmal benannt. Immerhin traf neben dem territorialen Bezug anders als beim Ortsnamen Windisch-Matrei auch das ethnische Merkmal für einen Teil dieser Säumer zu.

Daß ein ursprünglich ethnischer Begriff seines Sinnes aber auch völlig entkleidet werden konnte, dafür bringt Johann Weichard FREIHERR VON VALVASOR in seiner Ehre des Erzherzogtums Krain (Laibach-Nürnberg 1689, IV. Bd. S. 115 – Neudruck Rudolfswerth 1877) unter der Überschrift »Was durch Teutsche Knechte zu Carlstadt für Völker verstanden werden« ein bezeichnendes Beispiel: Die deutschen Knechte seien nämlich tapfere und den Janitscharen an Standhaftigkeit weit überlegene Soldaten, »absonderlich aber die zu Carlstadt, welche vor ändern diesen Vorzug haben, daß man sie Teutsche Knechte nennet, aber doch keine Teutsche, sondern Krabaten und andere Völker aus diesen Landen sind.« Diese Begriffsmetamorphose entsprang genau wie der Stolz des deutschen Kärntner Adels auf das Windischsein des Landes einer ganz bestimmten Situation, die man im Auge behalten muß, um Fehlschlüsse zu vermeiden.


Aus: Wilhelm Neumann, Wirklichkeit und Idee des »windischen« Erzherzogstums Kärnten, München 1961.