Klaus Ottomeyer
Josefs Geschichte
Manchmal haben diese Geschichten etwas Amüsantes, aber Du weißt so gut wie ich,
daß in ihnen der Schrecken steckt, der Schrecken einer nicht bewältigten Vergangenheit. Eine der Geschichten, die mich sehr bewegt hat, möchte ich Dir ausführlicher erzählen, weil sich in ihr für unser Thema sehr viel zusammenzieht, verdichtet. – Manchmal mache ich, wie Du weißt, für Studenten, Sozialarbeiter oder auch »normale Sterbliche« Selbsterfahrungsgruppen, in denen vor allem mit Rollenspielen aus der eigenen Erfahrungswelt- der Methode des »Psychodramas« - gearbeitet wird. Die Geschichte, um die es geht, ereignete sich auf einer solchen Veranstaltung zur Fortbildung für eine sozialpädagogische Berufsgruppe, die ich zusammen mit einer Co-Trainerin durchführte. Die Teilnehmer, über ein Dutzend, kamen aus ganz Österreich. Die Tagungsstätte lag in Südkärnten. Das erwies sich für die Dynamik unserer Geschichte als sehr wichtig. Es ging bei der Veranstaltung um das Verhältnis von eigener Jugend zur heutigen Jugend und darum, wie dieses Verhältnis im Berufsalltag erlebt und verarbeitet wird. Schon am ersten Abend deutete sich eine Spaltung der Gruppe in die jüngeren, eher »lockeren« Kollegen und die älteren, eher »ordentlichen« an. Einer der letzteren zog besonders die Aufmerksamkeit auf sich; er hatte eine körperliche Behinderung, trug am ersten Tag ein Steirer Trachten»G'wandl« - also aus »linker« Sicht eine Art Uniform des Konservatismus - sprach viel und schien für die jüngeren eine Art rotes Tuch. Josef war etwa 45; er berichtete, wieviel er von den Jugendlichen verlange, mit denen er arbeite. Nur einige hätten wirklich den Willen und die Chance aus den Schwierigkeiten herauszukommen. Diese würde er allerdings mit dem ganzen Einsatz seiner Person fördern. Josef betonte die notwendige Härte in der Erziehung. Er selbst sei ein Sozialfall und deLinquent gewesen und habe es doch aus eigener Kraft zur heutigen Position gebracht. Er habe z. B. einmal mit nächtlichem FahrradklingeLn in seinem Südkärntner Heimatort ganz nahe der Tagungsstätte - die Polizei auf den Plan gerufen und trotz Ermahnung zur Ruhe nicht aufgehört zu klingeln. So sei er in Polizelarrest gelandet. All das könne er belegen, er habe die Unterlagen dabei, betonte er mehrfach und mit einer Hartnäckigkeit, die den jüngeren Teilnehmern sichtlich »auf den Wecker« ging.

Nachdem der erste Nachmittag dem »Anwärmen« der Gruppe gedient hatte, wollten wir uns am zweiten Tag konkreteren Erlebnissen Einzelner zuwenden. Die Gruppe, dominiert von den jüngeren Teilnehmern, schubste gewissermaßen Josef in die Arena: »Er will ja so gern erzählen...« Wir Trainer hatten etwas Angst, daß es zu einer projektiven Problembearbeitung mit Ausgrenzung eines »Symptomträgers« kommen würde. Aber auch Josef bot sich als Protagonist und Mittelpunkt an. Ich dachte: »Hoffentlich machen sie ihn nicht zum Clown.« Es kam dann aber ganz anders; nämlich so, daß allen die Bereitschaft zum Lachen im Hals stecken blieb.

Josef erzählte, daß er Halbwaise, praktisch sogar Waisenkind war, im Kloster aufgewachsen, etc.; eine Fülle von Episoden seines stufenweisen Aufstiegs aus dem Elend. Fast beiläufig fiel die Bemerkung, daß er mit elf Jahren erst richtig Deutsch gesprochen habe. Da meine Co-Trainerin und ich die Situation der slowenischen Minderheit in Südkärnten inzwischen einigermaßen kannten, waren wir an dieser Stelle hellhörig und fragten nach, ob Josef slowenischer Herkunft sei. Dazu muß man allerdings wissen, daß auch viele Kärntner Slowenen, deutsche Vor- und Familiennamen haben.

Josef antwortete eilig: »Ja, aber darüber wollte ich gar nicht reden...« Man merkt jedoch deutlich an seiner Stimme und den Tränen in den Augen, daß an dieser Stelle die Abwehr-Fassade, die zuvor von seinem Redefluß getragen worden war, zusammenbricht. In dem, was er nur stockend erzählt, wird deutlich, daß seine ganze Lebensgeschichte von der Dramatik der Volksgruppenfrage in Südkärnten geprägt ist. Josefs Mutter kam aus einer bekannten Südkärntner Slowenenfamile. Der uneheliche Vater von Josef war im Krieg deutscher Soldat. Väterlicherseits war Josefs Vater italienischer und mütterlicherseits deutschsprachiger Herkunft. Er leitete eine Einheit, die in den Julischen Alpen Jagd auf slowenische Partisanen machen sollte. Als er Gefangene erschießen sollte, verweigerte er den Befehl und wurde selbst erschossen.

Mit den Tränen kämpfend und unter gebannter Anteilnahme der Gruppe berichtet Josef weiter, daß kurz darauf er mit seiner Mutter und anderen Verwandten in die Berge fliehen mußte, wo er sehr krank geworden sei. Schließlich seien sie wieder in den Bauernhof zurückgekehrt. Dort seien dann eines Tages SS-Leute erschienen und hätten die Mutter wegen des Vaters unter Druck gesetzt. Es sei Schreckliches passiert. Ihn selbst, damals drei oder vier Jahre alt, hätte ein SS-Offizier mehrfach über die Tischkante geschlagen. Von den damit verbundenen Knochenbrüchen rühre ein Teil seiner Behinderung. – Die Mutter hatte in ihrer Angst wohl wichtige Informationen an die Soldaten gegeben.

Unser Angerührtsein und unser Entsetzen ist bis hierher mit einer antifaschistischen Empörung und Solidarität verbunden.

Der weitere Fortgang von Josefs Geschichte bringt aber noch mehr Belastung und Gefühlsverwirrung:

Einige Zeit nach dem SS-Überfall seien Partisanen angerückt. Sie hätten die Mutter gesucht, um sie als Verräterin zur Rechenschaft zu ziehen. Nachdem sich die Mutter in ihrer Angst im Kamin versteckt habe, sei der Kamin angezündet worden, die Mutter fast erstickt und seitdem völlig behindert. Sie habe für die Kinder nichts mehr tun können; Josef sei dann gerettet und nach dem Krieg von Klosterschwestern aufgenommen worden. Im Kloster habe er slowenisch gesprochen, erst mit elf Jahren Deutsch gelernt. Bis zu seinem sechsten Lebensjahr habe er aber überhaupt nicht gesprochen, denn alle seine Verwandten, die geredet hätten, seien erschossen worden oder kurz später zu begraben gewesen. So habe er überlebt.

Als Josef erzählt, ist die Gruppe zunächst sehr beteiligt; einzelne fragen nach und machen deutlich, daß sie sich ihm nahe fühlen. Andererseits kommt nach einiger Zeit eine merkwürdige Unruhe und ein Konzentrationsabfall auf. Einer muß sich ein Glas Wasser holen, ein zweiter essen, die zwei oder drei Strickerinnen klappern immer schneller und versinken fast in ihrem Strickzeug. Maria und ich verstehen das als einen Versuch, sich von dem Schmerzlichen in Josefs Geschichte nicht zu sehr überwältigen zu lassen, als ein Sichanklammern an die »normalen Lebensvollzüge«. Wir sagen das so auch der Gruppe. Mir fällt dazu noch der hektische Wiederaufbau, die Wirtschaftsaktivität in Westdeutschland in den fünfziger Jahren nach den
Katastrophen der Nazi-Zeit ein. Ich habe das Gefühl, Josef bei der Auseinandersetzung mit seiner Geschichte stark schützen zu müssen.

Alleine hätte er wahrscheinlich zuviel Angst bekommen. Ich bin froh, daß meine Co-Trainerin ein paar Plätze weiter sitzt, von der ich weiß, daß ihre Familie als halbjüdisch von den Nazis verfolgt wurde und daß sie vieles an Josefs Reaktion besser verstehen wird als ich.

Zunächst wieder mehr gehalten von der Aufmerksamkeit der Gruppe, fährt Josef fort: Praktisch als Waisenkind aufgewachsen, habe er durch Gönner, die seine Begabung entdeckt hätten, und durch eine ungeheure Selbstdisziplin und Ausdauer doch seinen Bildungsweg und Aufstieg zur heutigen Position geschafft. So habe er trotz seiner Behinderung an extrem anstrengenden sportlichen Wettkämpfen, Eishockey und Radrennen in den Kärntner Bergen teilgenommen, – eine Vorstellung, die mir bei Josefs Bericht beinahe körperlich weh tut.

Auf der anderen Seite hätte seine Verwahrlosung, Kriminalitätsgefährdung gestanden, die er überwunden habe. Stolz berichtet Josef von verschiedenen, mit Kameraden sehr pfiffig durchgeführten »Beschaffungsdelikten«. Beim Bericht über diese Aktion »fängt er sich«, und gerät - nachdem er zuvor sehr nahe am Schmerz war - wieder in den Redefluß, der für ihn typisch ist. Als er wieder auf die Provokation der Polizei mit der Fahrradklingel zu sprechen kommt, welche ihm die Verhaftung eingetragen hatte, erinnern wir Leiter uns an die zuvor berichteten Soldatenüberfälle auf die Familie. Ich sage: »Du hattest wahrscheinlich mit den Uniformträgern noch etwas auszutragen...« Josef ist etwas überrascht, er stockt, die Augen werden wieder feucht. »Ja, das stimmt, ich hatte das Gefühl, sie können mir sowieso nichts mehr tun, nach allem was passiert ist.« Irgendwie habe das wohl doch mit seiner slowenischen Herkunft zu tun. Gerade vor ein paar Tagen sei er zur Vorbereitung auf unser Seminar auf dem zuständigen Polizeiamt gewesen, dort habe man ihm einen alten Aktenvermerk über den Vorgang überlassen, in dem es heißt: »Der Slowene hat ihn ausgelöst.« Daß er nach Zahlung einer Geldsumme durch jemanden frei gekommen sei, habe er damals nicht gewußt. Ich sage: »Auch wenn du den Zusammenhang der Polizeigeschichte mit deinem Herkunftskonflikt nicht bewußt gesehen hast, gab es offenbar andere, die ihn gemerkt haben.« Josef erzählt nun weiter von seiner Karriere aus den Schwierigkeiten heraus, von Etappen der Förderung, der Selbstrettung und des provokanten Selbstbewußtseins. Er erzählt auch von seiner Weigerung, sich zu dieser oder jener Volksgruppe zu bekennen. So sei er als der »erste zweisprachige Nikolaus« aufgetreten. Den Kärntner Bekenntniszwang: »entweder Deutsch oder Slowene« habe er nicht ertragen. Das sei ein Hauptgrund für den Weggang aus Kärnten gewesen. Bei den Berichten von der weiteren Biographie fällt wieder Josefs Redefluß auf; gleichzeitig, daß die Gruppe ihn überhaupt nicht unterbricht. Die Konzentration der anderen geht dabei weg. Meine Co-Trainerin Maria und ich haben das Gefühl, daß sich Josef wieder aus der Gruppe entfernt. Aus unserem Unwohlsein heraus deute ich seinen Redefluß als einen Versuch, sich von der Seite des Schmerzes und der Trauer in ihm zu entfernen. Dabei sei offenbar das Reden ein Zeichen für Nicht-Tot-Sein, Uberlebthaben und erhalte ihm seine Autonomie, Handlungsfähigkeit, aber um den Preis der Entfernung von der Gruppe. Auch die Gruppe fördere seinen Redefluß, stoße Josef indirekt sogar in dieses Verhalten, um die Belastungen und Verwirrungen, die auch für sie mit seiner Geschichte verbunden seien, wieder ein Stück weit los zu werden. Ich denke, Josef hat diese Interpretation für sich akzeptiert. Danach war jedenfalls sein Redefluß, der zuvor fast den Charakter eines Symptoms hatte, so gut wie verschwunden. Josef war die nächsten Tage bis zum Schluß des Seminars ein eher bedächtiger und aufmerksam zuhörender Teilnehmer.

Auch noch eine weitere Verhaltensweise von Josef konnten wir nach seiner Geschichte besser verstehen: den Drang, beim Berichten über seine Erlebnisse alles mit detaillierten Beispielen, Beweisen, »wirklich vorhandenen« Unterlagen belegen zu wollen. Ich sagte ihm, dies käme mir vor, wie die beständige Antwort auf jemanden, der sagt: »Das ist doch alles nicht wahr, was der da erzählt.« Aber solche Leute gäbe es ja tatsächlich. In Kärnten gehe man ja mit den Verlusten und dem Schmerz der slowenischen Familien tatsächlich so um, als habe es dies nicht gegeben, oder als handle es sich um grobe Übertreibungen. (Zur Abwehr werden dann sofort die »deutschen« Verluste aufgerechnet.) Maria und ich erinnerten an die Bilder vor deutschen Gerichten, wo ja die Strategie der Angeklagten und ihrer Anwälte auch darin bestand, die jüdischen Überlebenden selbst für befangene, unglaubwürdige Zeugen zu erklären und in Beweisnot zu bringen. Wahrscheinlich hätten sogar wir in der Gruppe uns manchmal der spontanen Regung: »Unglaublich, das kann doch nicht wahr sein« nicht erwehren können, welche der Schmerz und Schuldabwehr diene. Das wird von einigen Gruppenmitgliedern bestätigt.

Es ist recht erstaunlich, daß einige Kollegen, die mit Josef schon jahrelang eng zusammenarbeiten und befreundet sind, am Ende der Sitzung sagen, daß er von seinem Hintergrund nie erzählt habe. Sie könnten nun vieles an ihm besser verstehen.

Das Gefühl, das die Co-Leiterin und ich unmittelbar nach der Sitzung mit Josef hatten, nun sei endlich der Durchbruch im Seminar geschafft, erwies sich allerdings bald als trügerisch. Die Gruppenspaltung war nur sehr kurz in gemeinsam-antifaschistischen Gefühlen aufgehoben. Insbesondere die »Jungen« hatten eine große Hemmung, eigene Szenen aus ihrem Berufsalltag oder der eigenen Lebensgeschichte in die Öffentlichkeit der Gruppe einzubringen. Sie waren wohl durch die Schwere von Josefs Problem gelähmt; vielleicht war die Phantasie da, mit ihm, den sie ja eigentlich als Autoritären bekämpfen wollten, nun nicht mehr konkurrieren zu können. Daß sich die Betroffenheit durch die große Behinderung oder Verletzung eines Gruppenmitgliedes mit der Abwehr einer Gruppe verbindet, kommt oft vor. Bewusstseins nah wird dies als Solidarität erfahren, unbewußt und faktisch kann es jedoch die Ausgrenzung und Bewältigung eines mächtigen Konkurrenten bedeuten und vor dem Zeigen eigener Probleme schützen.

Am Ende des Seminars gelang es immerhin noch, den Bogen zurückzuschlagen von Josefs eigener Jugend auf die Art und Weise, in welcher er heute beruflich mit den Jugendlichen umgeht. Wir sagten ihm unsere Vermutung, daß sich in seinem Auswählen, seiner »Härte« und dem engagierten Fördern derjenigen Jugendlichen, die »wirklich« aus der Verwahrlosung herauswollen, etwas von seinem eigenen Lebensdrama des Überlebens, des Ausgewähltwerdens, der Förderung durch einzelne Autoritäten wiederholt. Nun hätten sich inzwischen die Positionen umgedreht. Josef reagierte auf diese Äußerung mit Nachdenklichkeit und Interesse an einem weiteren Kontakt mit uns.

Nach Vorlage der Erstschrift zur Veröffentlichung seiner Geschichte war es Josef sehr wichtig festzuhalten, daß das Schicksal seiner Familie »hinsichtlich des Leids zum geringsten gehörte gegenüber den Familien der Geschwister mütterlicherseits«.

Josef schickte mir einen Brief seiner damals zwölfjährigen Cousine Anna mit, den sie nach der Deportation in ein Lager in Deutschland an ihre Tante, Josefs Mutter, geschrieben hat. Der Brief ist sicher durch die Lagerzensur gegangen. Das slowenische Mädchen schreibt in einer sauberen Schrift und in fehlerlosem Deutsch:

»Meine liebe Tante!

27. 11. 42.

Für Euer Schreiben sowie für das Nikologeschenk danke ich vielmals.

Wir wurden am 14. April '42 aus St. Johann abgesiedelt und kamen zuerst nach Klagenfurt in ein Barackenlager, wo wir von vielen Polizeimännern bewacht wurden. Zum erstenmal in meinem Leben bin ich hier auf bloßem Stroh gelegen und habe den ersten Eintopf gekostet. – Der Vater war krank, weil er vorher daheim ein Unglück hatte, die Mutter weinte fortwährend, weil wir unser heißgeliebtes Heim verlassen mußten. Auch viele andere Leute und Kinder haben geweint; aber nirgends fand man ein Erbarmen. Den zweiten Tag auf die Nacht wurden wir einwaggoniert und fuhren dann über Villach-Salzburg-München bis Wassertrüdingen. Von hier wurden wir mit Traktoren auf den hohen Hesselberg befördert, wo wir mitten im Walde unsere Unterkunft fanden. Nach zwei Tagen wurden wir nebst noch einigen Familien hierher überstellt.

Unser Lagerleben näher zu beschreiben scheint mir zwecklos zu sein, da das Wort Lager allein schon genug sagt und Sie es verstehen werden; jedenfalls ist es ein sehr, sehr großer Unterschied gegen das Leben daheim. – Alles bleibt mir unvergeßlich.

Mit dem Geld bekommt man hier nicht viel. Kleider brauche ich jetzt auch keine, weil mir die Huber-Gatl zwei übermacht und ein neues geschenkt hat. Punkte habe ich fast schon alle verbraucht; Mutter und Vater werden aber diese für das Überrockzubehör verwenden. Hauptsächlich brauchen wir Lebensmittel; wir bekommen aber wohl etwas geschickt. Die Paketpost braucht von Velden oder Villach 3 bis 4 Tage, von St. Jakob aber etwas länger zu uns.

Unser Lager ist in einem Franziskanerkloster, in welchem auch eine schöne Kirche ist. Für die Lagerkinder ist eine Lagerschule errichtet worden, wo wir jeden Vormittag Unterricht haben; nachmittags gehe ich mit noch einer Freundin nach Scheinfeld Brot und andere Sachen für unsere Küche holen. – Unser Lehrer ist seit 14. Sept. mein Vater; früher hat er auf einer Fuchsfarm und 14 Tage in einer Fabrik in Stuttgart gearbeitet. Die Mutter hat in der Schloßwirtschaft 7 Wochen Kartoffel geklaubt; jetzt geht sie nach Scheinfeld zu einer Familie aufräumen und waschen. So vergeht Tag für Tag und wir warten kaum auf eine Erlösung.

Mit dem Wunsche, daß Sie gesund sind, grüßt Sie recht herzlich
Ihre dankschuldige Anna

Lager: Schwarzenberg
Post: Scheinfeld
Mittelfr.

Auch von meinen Eltern die besten Grüße.«


Josef fügt dann für mich noch hinzu: »Dieser Brief wurde per Einschreiben an Josefs Mutter zugestellt. Danach wurde Josefs Vater zur Wehrmacht eingezogen und gegen slowenische Partisanen eingesetzt. Josef und seine Schwester wurden bei einer Keuschlerin versteckt.

Für Annas Familie wurde das Leid immer größer, und nach Lagerwechsel kam ihr Vater bis ins KZ. Die Familie überlebte.«


Aus: Klaus Ottomeyer, Brief an Sieglinde Tschabuschnig, Klagenfurt/celovec 19