Klaus ottomeyer
Liebe Sieglinde!
Seit vier Jahren bin ich jetzt in Kärnten und fühle mich in mancher Hinsicht recht wohl, aber unsere Ansichten einerseits zu den Fragen der Nazi-Vergangenheit in Kärnten und andererseits zum Problem der slowenischen Minderheit, das sich ja in der aktuellen Auseinandersetzung um die zweisprachige Schule zuspitzt, sind einander immer noch sehr fremd. Dabei verstehen wir uns recht gut, dort wo wir in der Nachbarschaft und in der Sozialarbeit miteinander zu tun haben. Da ich gerade einen Aufsatz für eine Zeitschrift über »Kriegsfolgen und Vergangenheitsbewältigung« schreiben soll, und da ich weiß, daß Du Dich sehr für Psychologie interessierst und die Berufsreifeprüfung machen willst, um zu studieren, habe ich gedacht, ich schreibe den Aufsatz einfach als einen Brief an Dich.

Es kann sein, daß ich trotz der Briefform manchmal in meine Berufskrankheit, ein längeres Dozieren, verfalle. Aber vielleicht stehst Du die Durststrecken doch durch und versuchst mich zu verstehen.

Man kann in Kärnten fast nicht miteinander kommunizieren, ohne daß einem die Volksgruppenfrage und die Vergangenheit ständig dazwischen kommt. Oder man muß (bewußt oder unbewußt) den festen Entschluß fassen, sie draußen zu lassen. Dann hat man schon eine gewisse Harmonie, aber um einen ziemlichen Preis. Wir sind gleich hineingerasselt. Vielleicht erinnerst Du Dich:

Vor vier Jahren, als wir erst ein paar Wochen in Kärnten waren, warst Du so nett und hast uns in Dein Heimatdorf, etwas südlich von Klagenfurt, eingeladen, um uns von dort etwas von der schönen Landschaft zu zeigen. Wir schauen von einem Aussichtspunkt ins Tal und etwas unsicher bringe ich meine bescheidenen Landeskenntnisse ins Spiel: »Das ist doch hier auch schon gemischtsprachiges Gebiet, nicht wahr?« »Nein, das Nachbardorf ist gemischtsprachig, unseres nicht!«, hast Du in ehrlicher Empörung gerufen, »dieses Gebiet gehört uns. Das kriegen sie niel« – »Sie«, das waren die radikalen Slowenen, die auch schon Steine in das Familienhaus geworfen hatten, weil der Großvater ein alter »Abwehrkämpfer« und bekennender »Deutschkärntner« war. – Danach war ein paar Minuten lang betretenes Schweigen. Maria und ich, die wir aufgrund unserer Vorgeschichte eher mit der slowenischen Minderheit in Kärnten sympathisierten, wußten nicht so recht, was wir sagen sollten. Nachdem uns die spielenden Katzen etwas abgelenkt hatten und die Situation entkrampfter war, hast Du dann später von der Oma erzählt, die Dich als Kind, wenn Du in ihrem schönen Gemüsegarten spielen wolltest, immer hinausgejagt hat mit den Worten: »preklet' vamp, pa vsa hudica!« – auf mein erstauntes Gesicht hin hast Du hinzugefügt, das sei Windisch, nicht Slowenisch. – Ich war damals recht verwirrt und verstand noch nicht, daß fast alle Kärntner Familien- und Lebensgeschichten mit ähnlichen Komplikationen und Verwirrungen in Sprache und Identität verknüpft sind.


Aus: Klaus Ottomeyer, Brief an Sieglinde Tschabuschnig, Klagenfurt/Celovec 19