Bernhard Nussbaumer
Die Sprache als Ort
Die Entwicklung einer deutschen Minderheitenliteratur, am Beispiel Siebenbürgen
Literarisches Leben auf der »Sprachinsel«

Der Blick auf achthundert Jahre deutschsprachiger Kultur- und Literaturgeschichte in Siebenbürgen zeigt exemplarisch, unter welchen Umständen eine Minderheitenliteratur entsteht, sich entwickelt, weiterlebt. Aber auch, wie und warum sie untergeht. Am Beispiel dieser »wortreichen Landschaft« wird sichtbar, welche Strukuren und welches Umfeld literarisches Leben benötigt, welches Verhältnis zwischen Autor/innen und Publikum besteht, welche literarhistorisch und außerliterarischen Einflüsse aus dem Herkunftsland, beziehungsweise aus dem größeren europäischen Kontext aufgenommen und verarbeitet werden, und welche Ausstrahlung oder welcher Rückfluss ins sprachliche »Binnengebiet« feststellbar sind.

Die Kultur der deutschsprachigen Minderheiten in Siebenbürgen wurde traditionell durch zwei Institutionen zusammengehalten: die protestantische Religion und die Schule. Diese Koordinaten vermittelten einheitliche gültige Vorstellungen für das gesamte kulturelle wie soziale Leben der »sächsischen« Gemeinschaften. Ihre Wurzeln fanden sie im deutschen Geistesleben seit der Reformationszeit; die hoch geachteten siebenbürgischen Lehrer und Pfarrer – oft in einer Person – hatten meistens an deutschen Universitäten studiert und sich so auf die Aufgaben in ihrem heimatlichen Wirkungskreis vorbereitet. Auf diese Weise bildeten vor allem die Universitäten von Wien, Heidelberg und Leipzig die Verbindung zum zeitgenössischen Kulturgeschehen, während umgekehrt die Wahrnehmung siebenbürgisch-deutscher Kultur im sprachlichen »Binnenland« nur punktuell erfolgte, so dass beispielsweise ein Gelehrter vom Rang Melanchthons noch die irrige Meinung vertreten konnte, die Siebenbürger Sachsen seien auf die Zeiten der Völkerwanderung zurückgehende Reste »krimgotischer« Besiedelung. Trotz oder wohl eher wegen dieser Ausnahmesituation haben sich rumäniendeutsche Autoren seit jeher einer besonders akkuraten Pflege der Hochsprache verschrieben, sowohl im theoetisch-akademischen Bereich als auch in der literarischen Sprachverwendung, und wurden von daher auch zuweilen in der Außensicht als »germanissimi germani« gelobt (etwa vom deutschen Sprachneuerer Martin Opitz). Wie in der Sprachwahl jeglicher Provinzialismus vermieden wird, so gilt dies weitgehend auch für die Themenwahl, die sich immer an den gesamteuropäischen Epochen orientiert. Dass gegen Ende des 19. Jahrhunderts auch Mundartlyrik und lokal-historisierende Themen dabei sind, folgt einer Tendenz der Epoche, die beispielsweise auch in der zeitgleichen deutschen und österreichischen Literatur beobachtet werden kann.

Einen Bruch dieser offen angelegten geistesgeschichtlichen Ausrichtung bringt um 1870 der österreichisch-ungarische Ausgleich mit sich, als dessen Folge Siebenbürgen und die anderen deutschsprachigen Gebiete des europäischen Südostens zu Ungarn geschlagen werden und ihre bisherige, auf den »Goldenen Freibrief« des ungarischen Königs Andreas II (1224) zurückgehende politische Autonomie im Rahmen der »Nationsuniversität« verlieren, de facto auf die Stufe einer sprachlichen Minderheit im ungarischen Königreich herabsinken. In der Folge übernimmt die evangelische Kirche als einzig verbliebene Organisation die kulturelle wie politische Vertretungsfunktion für die deutschsprachige Gemeinschaft – in gewisser Weise bis heute.

Der Erste Weltkrieg bringt den Übergang Siebenbürgens in das neu geschaffene Königreich Rumänien. Die deutsche Minderheit geht in dieser Zeit auf etwa 800.000 Personen zurück und muss sich im Vielvölkerstaat Rumänien neben zahlreichen anderen Minderheiten (insgesamt 28% der Bevölkerung) behaupten. Die Wirren und Verwirrungen der dreißiger Jahre, der Zweite Weltkrieg und die nachfolgenden stalinistischen Säuberungen fordern in vielfältiger Weise Opfer. 1945 leben noch 340.000 deutschsprachige Menschen im Staatsgebiet (2,2% der Gesamtbevölkerung), 1990, unmittelbar nach dem Sturz des »Conducators« Nicolae Ceausescu sind es noch 119.000. Seit dieser sogenannten »Revolution«der damit einhergehenden Öffnung des »Eisernen Vorhangs« und dem darauf folgenden »Exodus« der Rumäniendeutschen in die Bundesrepublik Deutschland ist die deutschsprachige Bevölkerung des Landes auf etwa 20000 Personen, hauptsächlich alte Menschen, zusammengeschrumpft.

In diesem Umfeld ist eine Literatur nicht lebensfähig, weil ihr die Grundlage – das Publikum – fehlt. Obwohl es seit den siebziger Jahren im Rahmen einer gewissen kulturpolitischen Öffnung des sozialistischen Landes durchaus Strukturen für das deutschsprachige Geistesleben gibt (neben der zentralen Rolle der evangelischen Kirche Siebenbürgens und dem nach wie vor intakt funktionierenden deutschen Schulsystem sind deutschsprachige Zeitungen und Zeitschriften, Verlage, Universitätsinstitute und parauniversitäre Forschungseinrichtungen ebenso zu erwähnen wie Literarische Zirkel, Literaturhäuser und Theaterinitiativen) und obwohl auch eine gewisse Toleranz gegenüber der schriftstellerischen Freiheit geübt wurde, konnte dadurch die fast vollzählige Auswanderung der deutschsprachigen Schriftsteller nicht aufgehalten werden. Seit den späten sechziger Jahren ist dieser Strom nicht mehr abgerissen, auch wenn – im literarischen Sinn – nur einige wenige davon in der Bundesrepublik auch »angekommen« sind, wie etwa Oskar Pastior, Herta Müller oder Franz Hodjak. Von einem anderen Schicksal spricht der Freitod des in Rumänien als Mitglied der »Aktionsgruppe Banat« bekannt gewordenen Autors Rolf Bossert, der sich 1986 in Frankfurt vom Fenster eines Aussiedlerheims in den Tod stürzte. Die rumäniendeutsche Literatur lebt heute in den Erzählungen von Autoren, die in Deutschland leben und über den Zustand reflektieren, in einer Welt nicht mehr, in der anderen aber noch nicht zu Hause zu sein. Dieser Ansatz, durchaus deutschlandkritisch und auch kritisch bezüglich der eigenen Vergangenheit, kann sich auch einem binnendeutschen Publikum erschließen, ist aber letztlich von begrenzter literarischer Haltbarkeit, nicht zuletzt, weil die Erinnerungen der Autoren an ihre Herkunft verblassen und anderen Themen Platz machen. Daneben entwickelt sich – ein zartes Pflänzchen – in Rumänien, aus den gut besuchten deutschen Schulen heraus, eine junge Generation von deutsch dichtenden Rumänen, die dieses Idiom als ihre Kultursprache entdecken. Vielleicht sieht so der Neubeginn eines deutsch-rumänischen Kulturlebens im Rahmen eines größeren Europas aus.


Literatur im Streiflicht: Das 20. Jahrhundert

Die literarischen Bewegungen des 20. Jahrhunderts zeigen wie in einem Spiegel den dramatischen, durch politische Einschneidungen vielfältiger Art gebrochenen Wandel der siebenbürgisch-deutschen Kulturgemeinschaft. Aus diesem Grund soll diese Zeitspanne hier nochmals etwas näher herangerückt werden.

1916 zieht der kleine Balkanstaat Rumänien auf der Seite der Entente in den Ersten Weltkrieg. Nach der Auflösung der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie fallen Siebenbürgen, die Bukowina und zwei Drittel des Banat neben anderen Landschaften dem siegreichen Königreich Rumänien zu. 4,7% der Bevölkerung, etwa 715.000 Menschen, bilden die deutsche Volksgruppe, die mit anderen Minderheiten (Juden, Ruthenen, Polen, Serben, Kroaten, Türken) einen Vielvölkerstaat bildet. In dieser Zeit, um 1920, entsteht der Begriff »rumäniendeutsch« zur Definition eines neuen minderheitlichen Selbstverständnisses, das es bis dahin im Karpatenraum nicht gegeben hat. Vielmehr haben sich Banater, Bukowiner und Siebenbürger als jeweils eigenständige Kulturträger verstanden und ihre eigenen Kontakte zum binnendeutschen Kulturraum gepflegt.

Die Minderheitensituation schlägt sich nicht sofort in einem Zusammenrücken der drei »kleinen deutschsprachigen Kulturen« Rumäniens nieder – allerdings kommt es aufgrund der neu entstandenen politischen Lage verstärkt zu Kooperationen. Das geschieht zum Beispiel durch die Gründung einer »rumäniendeutschen« Kulturzeitschrift, »Ostland«, und durch deutschsprachige Theateraufführungen quer durch das Staatsgebiet. Inhaltlich liefern sich in den zwanziger Jahren Traditionalisten und Anhänger der »Moderne« einen Glaubenskrieg, doch dauert diese Blüte nur kurz. Die von jungen Autoren aus dem europäischen Ausland mitgebrachten Diskurse der Moderne führen kurzzeitig zu symbolistischer, neuromantischer, expressionistischer Äußerung, doch nach 1923 rücken andere Themen in den Mittelpunkt der regionalen Minderheitenliteratur. Mit der Proklamation des rumänischen Nationalstaates beginnen sich kollektive Zukunftsängste breit zu machen, die zu Beginn der dreißiger Jahre auch Teile der kulturtragenden Bevölkerungsschicht den inzwischen aus Deutschland eingesickerten Parolen des Nationalsozialismus zugänglich machen. Diese Richtung wird dadurch unterstützt, dass eine national orientierte deutsche Germanistik dem südostdeutschen »Stammesgebiet« plötzlich starke Beachtung schenkt. Veröffentlichungen werden ab 1933 offiziell von Deutschland aus gefördert, so dass ungleich mehr Literatur publiziert werden kann als bisher. Die Richtungsänderung ist an der damals von Heinrich Zillich in Kronstadt herausgegebenen Literaturzeitschrift »Klingsor« (1934 – 1939, benannt nach dem »mythischen« siebenbürgischen Zauberer und Minnesänger) abzulesen. Ursprünglich expressionistisch-metaphysisch angelegt, wendet sich »Klingsor« bald der so genannten »Konservativen Revolution« im Fahrwasser nationalsozialistischer Kulturpolitik zu. Diesen Ton schlägt auch die repräsentativste Lyriksammlung jener Jahre mit dem Titel »Herz der Heimat« (1935) an. Großes Echo – vor allem auch in Deutschland – ruft Adolf Meschendörfers Roman »Die Stadt im Osten« (1931) hervor, der eindringlich die kollektive Bedrohung der deutschen Siebenbürger veranschaulicht. Doch beschreibt dies nur einen Teil der Wahrheit. In der Bukowina, in Czernowitz, beispielsweise, sind die meisten deutsch schreibenden Autoren Angehörige der jüdischen Minderheit. Diese wird ab 1940 vom rumänischen Staat – der unter den Einfluss des NS-Staates geraten ist – diskriminiert und auch verfolgt. Der Diskriminierung folgt die »Säuberung«: bukowinische Autoren wie Moses Rosenkranz, Alfred Margul Sperber, Rose Ausländer und Paul Celan haben in der Sprache der Verfolger in erschütternder Weise Zeugnis abgelegt von diesen bedrohlichen Erfahrungen. Dennoch ist ihre Verbundenheit der deutschen Sprache wienerisch-österreichischer Lesart ungebrochen geblieben.

Das Ende des Zweiten Weltkrieges bedeutet einen massiven Substanzverlust im Leben der deutschen Minderheit in Rumänien; die bedingungslose Bindung an das nationalsozialistische »Reich« hat nicht nur Zehntausende Opfer unter den in die Wehrmacht eingegliederten Soldaten gefordert, sondern führt nach dem Frontwechsel Rumäniens und dem sowjetischen Einmarsch zu einer beispiellosen Welle von Verhaftungen und Internierungen, kollektivem Entzug der Bürgerrechte und der Deportation von 75000 Angehörigen der deutschen Minderheit in die Sowjetunion zur »Aufbauarbeit«. Zu diesem Faktor gesellt sich die seit 1948 betriebene Enteignung und Zwangskollektivierung der immerhin zu mehr als 70% in der Landwirtschaft tätigen deutschen Bevölkerung Rumäniens. In der Kulturpolitik wird zwar der Unterricht in der Muttersprache – nach landesweit einheitlichen Lehrplänen und im Geist der marxistischen Ideologie – wieder eingeführt, faktisch führt das zunehmende Ineinandergreifen von Staats- und Minderheitensprache zu einer Häufung von Interferenzerscheinungen und dem Entstehen einer schichtenspezifischen Mischsprache.

Im Bereich literarischer Äußerung ist allerdings als Reaktion darauf ein geschärftes Sprachbewusstsein sowie eine Solidarität der kleinen deutschen Lokalliteraturen zu beobachten, die nun tatsächlich zu einer »rumäniendeutschen Literatur« zusammenwachsen. Der Staatssozialismus mischt sich in Form von Vorgabe und Zensur in das literarische Leben auch der Minderheiten Rumäniens ein, allerdings kann man in dessen vierzigjähriger Zeitspanne unterschiedliche Phasen größerer Repression oder relativer Toleranz ausmachen. Als 1948 der »Sozialistische Realismus« über die rumänische Literaturszene »verhängt« wird, gleichen sich alle Literaturen in Rumänien formal wie inhaltlich zwangsläufig aneinander an. Allerdings hat man auch immer wieder Wege gefunden, den Augen der Zensur zu entgehen. Für die deutschsprachige Literatur bietet sich als Dialogpartner das »sozialistische Bruderland« DDR an. In neuer Form kann die alte Transferschiene über die Messe- und Bücherstadt Leipzig wieder belebt werden. Siebenbürgische Autoren werden in der DDR gedruckt und finden so auf den deutschen Markt. Mit der Errichtung des »Eisernen Vorhangs« verschwindet allerdings die literarische Wahrnehmung der deutschen Minderheitenliteratur in der Bundesrepublik Deutschland fast völlig und öffnet sich erst wieder mit der Rückwanderung der ersten literarischen Stimmen Siebenbürgens in die BRD Ende der 60er Jahre (Pastior, Birkner, Bergel, Schuster).

Unter staatlicher Aufsicht kann ab 1949 im rumänischen Staatsverlag in Bukarest die deutschsprachige Kulturzeitschrift »Der Neue Weg« erscheinen, bis 1957 die einzige deutsche Zeitung in Rumänien. Auf den Tod Stalins folgt in Rumänien wie im gesamten Ostblockgebiet eine kurze »Tauwetterphase«. Nach 1953 kommt ein bescheidener Theater- und Tourneebetrieb zwischen dem Banat (Temeswar) und Siebenbürgen (Hermannstadt) in Gang. Und ab 1956 startet in Bukarest die wichtigste periodische Publikation rumäniendeutscher Literatur, die Zeitschrift »Neue Literatur«. Dennoch sehen sich die Autoren generell starkem Misstrauen der Zensurbehörden ausgesetzt, und 1959 werden in einem Schauprozess fünf deutsche Schriftsteller, die Autoren Andreas Birkner, Wolf von Aichelburg, Georg Scherg, Hans Bergel und Harald Siegmund, zu insgesamt 95 Jahren Haft und Zwangsarbeit verurteilt, »wegen des Verbrechens der Aufwiegelung gegen die soziale Ordnung durch Agitation«, wie das Urteil des Kronstädter Militärgerichts (!) lautet.

Mit dem Jahr 1965 und dem Aufstieg Nicolae Ceausescus zum Parteisekretär und Präsidenten der Sozialistischen Republik Rumänien entsteht in der rumänischen Literaturszene wieder die Hoffnung auf eine Liberalisierung. Die inhaftierten deutschen Schriftsteller werden entlassen, der Bukarester Kriterion-Verlag übernimmt ab 1969 die überwiegende deutschsprachige Buchproduktion, in den Reihen der Zeitschrift »Neue Literatur« kommen neben den bereits etablierten Autoren erstmals auch »junge »Stimmen« zu Wort, die sich unkonventionell auch gegen eigene Vorkriegstraditionen und literarischen Konservativismus stellen. Von ihnen hat Oskar Pastior vielleicht am deutlichsten den herkömmlichen Sprachduktus verlassen und mit seinen Sprachexperimenten ein neues anspielungsreiches und insofern radikal kritisches Idiom geschaffen. Daneben beginnt sich eine neue Schriftstellergeneration zu artikulieren, deren Vertreter in den späten sechziger und frühen siebziger Jahren ein Germanistikstudium an rumänischen Universitäten absolviert haben und bereits unter dem ideologischen Eindruck der »Neuen Linken« stehen. Einige von ihnen schließen sich 1972 in Temeswar zur »Aktionsgruppe Banat« zusammen. Ihre teilweise provokanten Auftritte finden drei Jahre später durch den Eingriff des rumänischen Geheimdienstes Securitate ein jähes Ende. Trotzdem bedeuten die Arbeiten von Richard Wagner, William Totok, Rolf Bossert, Ernest Wichner und anderen eine wichtige Anbindung an den europäischen Zeitgeist, unter dem Eindruck von Brecht, Sartre und Mao und nach dem Muster formal-ästhetischer Experimente.

Die Hoffnung auf eine Modernisierung führt in den achtziger Jahre mit der epochentypischen Wendung ins Subjektive zu einer letzten Blüte deutschsprachiger rumänischer Literatur, in den Arbeiten von Richard Wagner (Ausreiesantrag, 1988), Werner Söllner (Kopfland. Passagen, 1988), Franz Hodjak (Siebenbürgische Sprechübung, 1990) und Herta Müller (Niederungen, 1984), deren Arbeiten durch ihre Ausreise in die Bundesrepublik auch Eingang in breitere Leserkreise gefunden haben, nicht zuletzt, weil sie sich dem deutschen Publikumsgeschmack anzupassen verstanden haben.


Was sich seit Ende der sechziger Jahre abzeichnet, die Auswanderung der deutschen Bevölkerung Siebenbürgens, hat sich als Phänomen seit dem Übersiedelungsabkommen des Jahres 1878 zwischen der Volksrepublik Rumänien und der BRD derart verstärkt, dass schon damals ein »gespaltenes Schrifttum« der Siebenbürger erkennbar wird: jener, die ausgewandert sind, und jener, die im Lande bleiben. Die Ereignisse rund um den Sturz des Ceausescu-Regimes von 1989 haben ab 1990 zu einer letzten, massiven Auswanderungswelle der deutschsprachigen Bevölkerung aus allen Teilen Rumäniens geführt. Inzwischen sind nicht nur beinahe alle Deutschen ausgesiedelt, auch von den Literaturträgern ist nur noch ein verschwindender Rest im Lande geblieben, Von einer literarischen Kultur, die Veröffentlichungen, Meinungsaustausch, Besprechungen, Theateraufführungen, Verlage, Theaterensembles, Literaturzirkel, ein Publikum und einen theoretischen Apparat voraussetzt, lässt sich heute in Siebenbürgen wahrscheinlich nicht mehr sprechen. Unter denen, die im Lande geblieben sind, ist vor allem die evangelische Kirche zu nennen, die heute mehr denn je zum Sammelpunkt des deutschen Kulturlebens geworden ist, sowie eine Handvoll Autoren und Literaten, darunter Joachim Wittstock, Sproß einer berühmten Siebenbürger Gelehrten- und Schriftstellerfamilie quer durch mehrere Generationen, der heute an der Hermannstädter Akademie zur rumäniendeutschen Literaturgeschichte forscht und die Schriftenreihe »Forschungen zur Volks- und Landeskunde« leitet. In gewisser Weise ergreift er die Rolle eines Nachlasswalters einer über achthundertjährigen Tradition, deren Gedächtnis mit den deutschsprachigen Autoren Rumäniens in Deutschland lebt – und zwar so lange, als sie dieses Siebenbürgen, Heimat und Ausreise, Identität und Sprache zum Thema ihrer Arbeit machen.

Literatur:

Hans Bergel: Literaturgeschichte der deutschen in Siebenbürgen. Ein Überblick
Wort und Welt Verlag, 1988

Stefan Sienerth: »Dass ich in diesen Raum hineingeboren wurde« gespräche mit deutschen Schriftstellern aus Südosteuropa, Verlag Südostdeutsches Kulturwerk München, 1997


Aus: Archiv, http://www.kulturelemente.org/hauptseite.htm