»Im Karst bin ich geboren«
Ich möchte euch sagen: Im Karst bin ich geboren, in einer strohgedeckten Hütte, geschwärzt vom Regen und vom Rauch. Dort gab es einen zottigen und heiseren Hund, zwei Gänse, die am Bauch ganz schlammig waren, eine Hacke, einen Spaten, und vom beinah strohlosen Misthaufen floß nach dem Regen in kleinen Kanälen eine bräunliche Flüssigkeit ab.

Ich möchte euch sagen: In Kroatien bin ich geboren, im großen Eichenwald. Im Winter war alles weiß vor Schnee, man konnte die Tür nur einen Spalt breit öffnen und nachts hörte ich die Wölfe heulen. Mutter wickelte Lumpen um meine roten, geschwollenen Hände und vor Kälte wimmernd warf ich mich auf den Herd.

Ich möchte euch sagen: Im mährischen Tiefland bin ich geboren und lief wie ein Hase über die langen Furchen, die krächzenden Krähen verscheuchend. Ich warf mich flach auf den Boden, riß eine Rübe mitsamt der Erde aus und nagte daran. Dann bin ich hierher gekommen und habe versucht mich zu bezähmen, habe Italienisch gelernt und Freunde unter der gebildetsten Jugend gewählt; - doch bald muß ich in die Heimat zurück, denn hier fühle ich mich ganz und gar nicht wohl.

Ich möchte euch betrügen, doch ihr würdet mir nicht glauben. Ihr seid klug und gewitzt. Ihr würdet sofort begreifen, daß ich ein armer Italiener bin, der versucht, seine einsamen Sorgen zu barbarisieren. Ich gestehe euch lieber, daß ich euer Bruder bin. Auch wenn ich euch manchmal verträumt und verloren betrachte und mich von eurer Kultur und euren Gedanken eingeschüchtert fühle. Vielleicht habe ich Angst vor euch. Eure Einwände sperren mich nach und nach in einen Käfig, während ich euch teilnahmslos und zufrieden zuhöre und nicht bemerke, daß ihr eure kluge Tapferkeit genießt. Dann werde ich rot und schweige, am Rand des Tisches; und denke an den Trost der hohen, offenen Bäume im Wind. Gierig denke ich an die Sonne über den Hügeln, an die blühende Freiheit; an die wahren Freunde, die mich mögen und mich an einem Händedruck wiedererkennen, an einem ruhigen, vollen Lachen. Diese sind gesund und gut.

Ich denke an meine ferne, unbekannte Herkunft, an meine Vorfahren, die das endlose Feld mit dem Pflug bestellten, den vier scheckige Rösser zogen, oder gebeugt, in der Lederschürze, vor den Öfen mit dem geschmolzenen Glas standen, an meinen Urgroßvater, der voller Unternehmungslust nach Triest kam, als dieses Freihafen1 wurde; an das große grünliche Haus, wo ich geboren bin und wo noch immer unsere Großmutter lebt, hart geworden im Schmerz.

Schön war es, sie auf der breiten Terrasse sitzen zu sehen, die auf einem gewaltigen Felsvorsprung Berge und Meer überragte, trocken und widerstandsfähig saß sie neben meiner anderen Großmutter, der alten Venezianerin mit den roten Wangen und dem leichten Gemüt, die fast schon achtzig war und bei der man noch immer den starken bläulichen Puls unter der weichen Haut wie ein Blatt sich heben und senken sah. (...)


Scipio Slataper
Aus: Scipio Slataper, Mein Karst, Klagenfurt/Celovec