Stimmungsbilder zur Lage der deutschsprachigen Minderheit in Kärnten oder: Wie sieht es aus, wenn es einmal umgekehrt aussieht?

1. Das Gesetz zum Schutze der deutschsprachigen Minderheit tritt in Kraft. Die Amtssprache in allen öffentlichen WC's ist Deutsch.

2. Landeshauptmann Wagner wird Ehrenmitglied des slowenischen Schafzüchtervereines und bezeichnet sich als hochgradigen Hirtenjungen.

3. Ein Kärntner Landespolitiker versteckt seine Deutsch sprechende Großmutter im Keller.

4. Alle Partisanen, die gegen den Faschismus gekämpft und damit der Kärntner Heimat einen Dienst erwiesen haben, schließen sich im Kärntner Heimatdienst zusammen. Eine andere Organisation gleichen Namens wird wegen Irreführung aufgelöst.

5. Mit dem Schlachtruf »Ho Ruck übern Loibl« fallen die letzten sieben Mitglieder des Abwehrkämpferbundes in Slowenien ein. Sie werden vom staatlichen jugoslawischen Touristenbüro ins Unterhaltungsprogramm aufgenommen.

6. Herr Feldner, der Führer des ehemaligen Kärntner Heimatdienstes, übersiedelt ins Spandauer Gefängnis. Er wird ständiger Tarockpartner von Rudolf Heß.
7. Eine internationale Kommission untersucht die Lage der deutschsprachigen Minderheit in Kärnten. Der Landespolitiker holt seine Großmutter aus dem Keller.

8. Dr. Mario Brunnenfeld wird zur Attraktion der diesjährigen Urlaubssaison. Mit einem Wikingerhelm auf dem Kopf, aber ansonsten nackt, führt er den ausländischen Gästen einen Bauchtanz vor. Die Darbietung findet täglich in der Fußgängerzone zwischen Altem und Neuem Platz statt - bei Schönwetter. Bei Schlechtwetter in den Schauräumen des Amtes der Kärntner Landesregierung.

9. Am Kartenschalter des Klagenfurter Hauptbahnhofes verlangt ein Reisender eine Fahrkarte, auf deutsch. Die Großmutter des Landespolitikers, die gerade die internationale Kommission verabschiedet hat, gratuliert ihm zu seinem Mut.

10. Unter der Devise »Fein sein, aufeinander bleiben« starten die Kärntner SPÖ und das Villacher Puff eine gemeinsame Werbekampagne.

11. Kreisky ersetzt seine jüdische Herkunft durch eine slowenische. Der Nahostkonflikt erhält einen neuen Akzent.

12. In Klagenfurt wird ein deutschsprachiges Gymnasium eröffnet. Die Großmutter des Landespolitikers besteht die Aufnahmsprüfung.

13. Mit dem Lied »Warum ist es am Rhein so schön« geht ein Boot, vollbesetzt mit betrunkenen deutschen Urlaubern, im Wörther See unter. Die slowenische »Kleine Zeitung« bezeichnet diesen Vorfall als unnötige Germanisierung unserer Heimat.

14. Der Pfarrer von Maria Saal fürchtet sich vor der deutschsprachigen Minderheit. Er schlägt den Bau einer Hängebrücke über die Karawanken vor, als möglichen Fluchtweg.

15. Das diesjährige Hirtenwort des Bischofs von Gurk steht unter dem Motto: Slowenisch is beautiful und gottgewollt.

16. Die Großmutter des Kärntner Landespolitikers besteht die Matura im deutschsprachigen Gymnasium mit Auszeichnung und erhält prompt eine Anstellung als Putzfrau in einem Kaufhaus.

17. Herr Horten, der Besitzer des Kaufhauses, kassiert dafür den Vorwurf der Überfremdung durch deutschsprachige Elemente. Er entläßt die maturierte Großmutter, fährt nach Bleiburg und ißt dort demonstrativ Cevapcici.

18. Der Intendant des Klagenfurter Stadttheaters setzt neben Werken von Jože Boschitz, Janko Messner, Gustav Januš, Marjan Man/cek, Florjan Lipuš Goethes »Faust« auf den Spielplan. Er verteidigt diese deutschfreundliche Maßnahme mit dem Hinweis, daß es sich beim »Faust« ohnehin nur um die Ergüsse eines alternden Alkoholikers aus Weimar handle.

19. Die deutschsprachige Minderheit soll gezählt werden. Diese Aufgabe wird dem Kärntner Blindenverein übertragen und geht als Volkszählung besonderer Art in die Geschichte ein.

20. Nachdem das Ergebnis der Volkszählung feststeht, wird allen deutschsprachigen Kärntnern das Recht der freien Kulturausübung und freien Meinungsäußerung in der eigenen Badewanne zugebilligt.

21. Bürgermeister Guggenberger hört auf den Rat der Kärntner Slowenen und läßt sich einen serbischen Schnauzbart wachsen.

22. Die FPÖ, früher Faschistische Partei Österreichs, eröffnet eine Filiale in Laibach und erklärt ihre Sympathien für den Sozialismus. Dr. Scrinzi läßt sich im Mao-Look vor einem Tito-Denkmal fotografieren.

23. Die slowenischen Ortstafeln sollen auch deutsch beschriftet werden. Gott, der auch schon slowenisch angehaucht ist, entfacht einen Sturm. weshalb das ganze unterbleibt.

24. Die verbliebenen deutschsprachigen Kärntner treffen sich zu einer Lagebesprechung im Keller der maturierten Großmutter des Kärntner Landespolitikers. Sie wählen einen Schäferhund zum stellvertretenden Vorsitzenden.

25. Die deutschsprachige Literatur in Kärntnen geht in den Underground. Wilhelm Rudnigger wird Chefdissident.

26. Die deutschsprachige Minderheit wird eingeladen, bei den Feiern anläßlich des 10. Oktober mitzumachen. Unter dem Motto »Kärnten frei und ungeteilt« dürfen sie ihre eigene Kultur und ihre eigenen Lieder in slowenischen Kostümen und slowenischer Sprache vortragen.

27. Sie verzichten darauf und feiern mit anderen Minderheiten den 11. Oktober.

(1980)


Peter Turrini
Aus: Peter Turrni, Es ist ein gutes Land. Texte zu Anlässen, Wien-München-Zürich 1987